Generation Z: die Welt geht uns doch was an!
Ein Bericht von Jennifer Ziller vom Gymnasium Füssen
Zivilgesellschaftliche Bewegungen sind ein Weg, um Veränderung anzustoßen. Jede Bewegung startet klein, oft nur mit einer Handvoll Menschen. Und je mehr sie wächst, desto erfolgreicher wird sie. So auch die Schulpartnerschaft zwischen dem Gymnasium Füssen im Allgäu und der Manda School der German Doctors und Austrian Doctors in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs. Mit einer Fläche von 147.570 km², etwa doppelt so groß wie Bayern, befindet sich Bangladesch östlich von Indien und wird zum größten Teil von indischem Gebiet umgeben. Das Land beheimatet etwa doppelt so viele Einwohner wie Deutschland und ist einer der Staaten mit der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt.
Der größte Teil des Landes liegt wenige Meter über dem Meeresspiegel. Das flache Schwemmland ist durchzogen von einem dynamischen Netz aus über 200 Flüssen mit unzähligen Nebenarmen und Seitenkanälen. Im Zuge des Klimawandels kommt es in Bangladesch oft zu schweren Überschwemmungen. Aufgrund des Platzmangels, gibt es kaum Ausweich- bzw. Fluchtmöglichkeiten. Etwa ein Viertel der rund 14 Millionen Bewohner Dhakas leben heute in Slums, die aufgrund des chronischen Platzmangels oft in hochwassergefährdeten Gebieten am Stadtrand liegen.
Zeitreise zurück ins Jahr 1999 – die Ärzte ohne Grenzen erhielten den Friedensnobelpreis. Meine Freundin Arnika Kreutzer und ich, zwei wissbegierige Redaktionsmitglieder der Schülerzeitung Ventilator, bestellten dazu Infomaterial. Zahlreiche Broschüren und Plakate flatterten in Haus. Uns kam die Idee, eine Spendenaktion zu organisieren. Diese wurde einstimmig von der Redaktion abgesegnet.
Es folgte eine intensive Zeit der Planung, Überzeugung und des Netzwerkens. Knappe 3 Monate später, am 17. Dezember 1999, war das Gymnasium am Tag der Benefizveranstaltung gut besucht. Buffet, Bazar und Tombola waren gefüllt. Ehrengast Dr. Karl Kieferle von den German Doctors (damals noch Ärzte für die dritte Welt e.V.) führte das Publikum direkt zum Kern der Sache und berichtete von seinen Einsätzen in den Slums von Bangladesch. Die German Doctors entsenden Ärzte in Regionen ohne medizinische Versorgung. Die Ärztinnen und Ärzte arbeiten dort in der Regel für einen Zeitraum von 6 Wochen – gänzlich unentgeltlich.
Genau zum richtigen Zeitpunkt
Die Musiker der Schul-BigBand, einer Trommelgruppe und des Kammerorchesters Füssen sorgten für beste Unterhaltung, während die Gäste dem Hauptakt entgegenfieberten – einer Versteigerung mit dem Comedian Wigald Boning! Die Lehrerinnen und Lehrer hatten im Vorfeld unter dem Motto „Kunst, Kuriosa und Klamotten“ ihre Wohnzimmer, Dachböden und Keller durchwühlt. Mit ordentlich viel Klamauk brachte Boning Hüte, Möbelstücke, ein Surfsegel und Kunstwerke unter den Hammer. Zuletzt verhökerte er seine eigenen drei Krawatten, seinen Pullunder und sein Jackett. Mit Erfolg: 12.000 D-Mark flossen damals in die Spendenkasse. Wie sich herausstellte, genau zum richtigen Zeitpunkt. Eine der Schulen, die der bengalische Koordinator Mr. Aminul Babul Hoque 1999 in einem der Slums von Dhaka errichtete, fiel kurz zuvor einem verheerenden Brand zum Opfer. Mithilfe der Spenden konnte die Schule in ein anderes Gebäude umziehen.
Ein Jahr später wurde die Schulpartnerschaft zwischen dem Gymnasium Füssen und der Manda School beschlossen. Im Laufe der Jahre verzeichnete das Projekt kontinuierliche Erfolge. Die ersten Schüler erhielten ihre Schulabschlüsse und konnten in Folge einen Beruf erlernen.
Heute unterrichten 28 Lehrkräfte rund 1.300 Kinder im Dreischichtbetrieb. Das Bildungsangebot reicht von Vorschulklassen bis zur zehnten Klasse. In Bangladesch besteht Schulpflicht für Kinder zwischen 6 und 10 Jahren, und der Unterricht an den staatlichen Schulen scheint auch auf den ersten Blick kostenfrei zu sein. Jedoch erschweren die versteckten Kosten für Hefte, Stifte, Lehrmaterialien und Prüfungszulassungen, gerade den Kindern benachteiligter Familien den Schulbesuch. Die Schülerinnen und Schüler der Manda School bekommen Schulmaterialien sowie eine Schuluniform zur Verfügung gestellt. Für die Kinder erwerbsloser Eltern ist der Unterricht kostenfrei. Zum Teil erhalten die Eltern darüber hinaus einen „Erwerbsausfall“ dafür, dass die Kinder in die Schule gehen, anstatt durch Schuh putzen Geld zu verdienen oder zu betteln.
Die Schule ist offiziell registriert und unterliegt einmal pro Semester einer externen Prüfung. Das Curriculum sowie die zu verwendenden Bücher sind vom Staat vorgegeben und der Abschluss an der Manda School ist offiziell anerkannt. Somit haben die Abgängerinnen und Abgänger die Möglichkeit, weiterführende Schulen bzw. die besonders Tüchtigen über ein Sponsoringprogramm der German Doctors die Universität zu besuchen.
20 Jahre später – am 19. November 2019 – eröffnete der Schulleiter, Michael Gschnaidner, die seit 1999 alljährlich stattfindende vorweihnachtliche Benefiz-Veranstaltung im Gymnasium Füssen. Ich freute mich sehr, an diesem Jubiläum gemeinsam mit Peter Ernst, dem damaligen Beratungslehrer der Schülerzeitung, nach zwei Jahrzehnten die Anfänge der besonderen Schulpatenschaft zu vergegenwärtigen. Auch erschien der Vorstand der German Doctors, Dr. Harald Kischlat, gemeinsam mit seiner Kollegin Hanna Zimmermann, zum Jubiläum und begrüßte die Gäste. Dr. Karl Kieferle, seine Frau sowie zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer im Ruhestand ließen sich das Jubiläum ebenfalls nicht entgehen. Mit Staunen beobachtete ich die euphorische Stimmung in der Turnhalle. Nachdem der offizielle Teil der Veranstaltung vorbei war, wurden die Gäste mit einem gigantischen Flashmob aufgerüttelt. Danach startete das eigentliche Event in der Aula und den verschiedenen Klassenzimmern. Der Benefiztag hat sich in der Zwischenzeit zu einer festen Institution entwickelt. Jede Klasse präsentierte ein eigenes Programm. Die Kinder lockten ihren Eltern auf raffinierteste Art so manchen Schein aus der Tasche.
Einfach nur stolz
Mein persönlicher Favorit des Abends war eine Live-Jukebox. Die Klasse von Lehrer Uwe Favero, dem jetzigen Hauptorganisator, hauchte diesem 1m³ großen Pappkarton mit Gesang und Comedy Leben ein. Solange ordentlich Münzen eingeworfen wurden, spielte der Automat die tollsten Melodien ab, gesungen von der Klasse. Hin und wieder hatte die in die Jahre gekommene Maschine jedoch Ausfälle. Dann musste schnell der Hausmeister gerufen werden. Und der kam natürlich nur, wenn er ordentlich entlohnt wurde…
Daneben gab es Schuhputzer, Losverkäufer, Köche, eine lokale a cappella-Band, die Weizenguys, die ein Wohnzimmerkonzert versteigerten sowie zwei heranwachsende Musiker, die auf dem Flügel in der Aula unermüdlich ihre eigenen Kompositionen und Improvisationen dem Laufpublikum vorspielten. Am Ende der Veranstaltung packten die Schülerinnen und Schüler der Oberstufen an und räumten gemeinsam in Rekordzeit auf. Wieder kam eine stattliche Summe zusammen: 10.000 Euro flossen dieses Jahr in die Spendenkassen. Und auch für diese Summe gibt es bereits einen konkreten Verwendungszweck.
Anfang 2018 startete die Ärztehilfsorganisation den Bau eines Training Centers im Stadtteil Manda. In naher Zukunft werden hier Ausbildungsplätze für die Berufe Schneider, Friseur, Informatiker sowie Kurse zu Hygiene, Ernährung und Gesundheitsschulungen angeboten. Letzteres stellt die Brücke zur medizinischen Arbeit der Ärzte dar und soll die einheimischen Gesundheitsangestellten entsprechend schulen.
Zurück zum sozialen Engagement unserer Jugend: Man könnte denken, in einer Zeit von Ganztagsschulen, G8 und Leistungsdruck von allen Seiten, wird es immer schwieriger, Jugendliche für ehrenamtliches Engagement zu begeistern. Doch Aktionen wie der Benefiztag am Gymnasium Füssen beweisen das Gegenteil. Sie machen spürbar, dass freiwilliges Engagement jungen Menschen die Möglichkeit gibt, sich selbstbestimmt für etwas einzusetzen. Das formt und fördert das Miteinander, macht Spaß und die Jugend zu verantwortungsbewussten Erwachsenen. Auf die nächsten 20 Jahre – Schülerinnen, Schüler, Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasium Füssen – ich bin stolz auf Euch!
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