Ein Leben im Käfig
Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Anne Muckelbauer aus Luzon
Vor knapp 2 Jahren mussten sich die German Doctors aus Sicherheitsgründen aus ihren Projekten auf Mindanao zurückziehen. Vor einem Jahr war es dann soweit: der Langzeitarzt Dr. Gerhard Steinmaier hat im Norden von Luzon ein neues Projekt der German Doctors gestartet, aufbauend auf dem auf Mindanao begonnenen Konzept, lokale „Health Worker“ auszubilden, welche dann langfristig die Gesundheitssituation in ihren Gemeinden verbessern und stärken, gemäß dem Motto der German Doctors: Hilfe, die bleibt.
Wir als Kurzzeitärzte führen parallel dazu die Rolling Clinics durch, welche sowohl der Dorfbevölkerung in abgelegenen Regionen den Zugang zu einer ärztlichen Versorgung ermöglichen soll, als auch gleichzeitig die Health Worker in ihrer Ausbildung einbezieht und schult.
Akute Katastrophenhilfe ist nicht die Hauptaufgabe der German Doctors; das tun andere Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, welche gezielt in Krisen-, Katastrophen- und Hungergebiete gehen. Die Organisation hilft armen, vernachlässigten Bevölkerungsgruppen dabei, einen besseren Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung zu erhalten. Dazu zwei Beispiele, wie ich sie hier erlebt habe:
Dr. Gerhard Steinmaier als Langzeitarzt hat im Laufe der ersten Monate erfahren, dass es in den Dörfern üblich ist, geistig behinderte Menschen, Menschen mit Psychosen und Schizophrenie mangels anderer Behandlungsmöglichkeiten in sogenannten „Käfigen“ unterzubringen. Das sind ca. 2 x 2 m große Holzverschläge mit ein oder zwei vergitterten Fenstern und einem Schloss an der Tür. Dort verbringen diese Menschen Jahre bis Jahrzehnte, oft unbekleidet, schlafen auf dem nackten Boden, bestenfalls aus Holz, aber auch auf Zement. Ihre Notdurft verrichten sie auf der freien Fläche, welche dann einfach nur mal abgespült wird. Für uns unvorstellbare Zustände, für die Menschen dort immer noch die bessere Alternative als ein staatliches Heim, in welchem die Kranken leider nicht besser versorgt, sondern in großer Enge mit vielen Erkrankten zusammen untergebracht werden, und die Familie dafür viel Geld bezahlen muss.
Dr. Gerhard Steinmaier hat nun mit Einverständnis der lokalen Gesundheitsbehörde und der Angehörigen angefangen, diese Menschen mit den üblichen Psychopharmaka zu behandeln. Bereits nach wenigen Wochen gelang es, drei dieser Kranken aus den Käfigen herauszuholen und sie am normalen Familienleben wieder teilhaben zu lassen. Einmal musste sogar das Schloss aufgesägt werden, da es schon jahrelang nicht mehr geöffnet worden war. Ein Wunder für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Es spricht sich schnell herum, und immer mehr Dorfbewohner kommen auf die German Doctors mit ähnlichen Problemen zu. Hier wurde einem leidenden Menschen ein Leben in Würde zurückgegeben.
Das zweite Beispiel mag weit weniger spektakulär sein, aber für die Betroffenen in vieler Hinsicht auch eingreifend: Der Langzeitarzt hat durch seine gute Vernetzung in der Region eine Kooperation mit einer Augenklinik begonnen, welche vor allem die Operation des grauen Stars durchführt. Ein Vermessungsoptiker begleitet die Rolling Clinic und untersucht die älteren Menschen auf grauen Star. Falls Operationsindikation besteht, kann die OP in ihrer Klinik mit Unterstützung der German Doctors durchgeführt werden. Die Operation selber bezahlt die philippinische Grundversicherung, aber Transport, Augentropfen und Nachsorge fallen an und schrecken viele Senioren ab. So soll auch den benachteiligten Menschen in den abgelegenen Dörfern eine Behandlung ermöglicht werden, die bei uns selbstverständlich ist: gutes Sehen und damit Selbständigkeit auch im hohen Alter.
Überhaupt leben in den abgeschiedenen Bergen erstaunlich viele ältere Menschen. Sie arbeiten bis ins hohe Alter schwer, während die jüngeren oft in die Städte abwandern oder im Ausland für ein paar Jahre Geld verdienen. So sind auch die meisten Patienten der Rolling Clinic Kinder oder ältere Menschen. Während meines Aufenthaltes waren die Schäden des letzten Taifuns im Herbst noch deutlich sichtbar und zwar an Straßen, in der Landwirtschaft und an den Häusern. Gerhard Steinmaier hatte die Aufgabe, Baumaterial von den gespendeten Geldern an die ärmsten Familien auszuliefern.
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