Wie soll er diesem Elend je entfliehen?

Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Brigitte Ritzer aus Dhaka

Sprechstunde in Dhaka

Sprechstunde bei Dr. Ritzer in Dhaka

Ich bin wieder einmal in Dhaka. Das medizinische Team und die Unterkunft sind mir vertraut, aber die meisten unserer Einsatzorte sind neu. Es sind Slums, in denen noch wenige andere NGOs tätig sind und wo die Menschen unter unbeschreiblichen Umständen leben müssen. Besonders schlimm sind die Lebensbedingungen in einem Slum an der Bahn. Die Züge rattern im Halbstundentakt, drei Meter vor unserer Hütte, vorbei. Dann zittert die Erde, eine Staubwolke steigt auf und man kann kein Wort verstehen. Wir machen das ein paar Stunden wöchentlich, aber die Bewohner des Slums müssen dies tagtäglich ertragen. Von einer Wasserpumpe holen die Slumbewohner das Trinkwasser. Dort waschen sich die Menschen auch. Da ja alles offen ist, natürlich in Kleidern, die dann am Leib trocknen – eine Katastrophe für die vielen Hauterkrankungen.

Das Leben hier ist anstrengend

Untersuchung Patient

Untersuchung eines Patienten

An der Bahn müssen die Bewohner hier in Dhaka keine Miete zahlen, daher sind diese oft die erste Unterkunft für die vom Land neu in die Stadt Gekommenen. Allerdings kann die Bahn jederzeit beschließen – nach kurzer Vorwarnung über Nacht – die Hütten niederzuwalzen. Daher sind diese hier besonders schäbig: Bretter und dazwischen Plastikfetzen und Jutesäcke und innen mit Zeitungen tapeziert, eine Familie in einem Raum, in einem Bett, eher eine Pritsche oder es wird überhaupt auf dem Boden geschlafen. Wer kann, verlässt diese Bahnslums wieder, aber vielen gelingt es nicht.

Viele traurige Schicksale

Heute war ein Patient bei mir, der vor zwei Jahren bei einem Unfall ein Bein verloren hat. Prothesen gibt es hier kaum,  bzw. sind sie unerschwinglich. Der Mann war Tagelöhner. Seiner Arbeit kann er nun nicht mehr nachgehen. Es gibt keinerlei Versicherung für ihn – jetzt bettelt er. Der Patient hat vier Kinder, eines davon ist schwerstbehindert. Dieses hatte ich auch schon als Patient hier bei mir. Wie soll er diesem Elend je entfliehen? Wie soll er nur seine Kinder in die Schule schicken können?

Slumschule in Dhaka

Fleißig lernen die Kleinen für eine bessere Zukunft

Ein anderes Beispiel zeigt die Situation einer weiblichen Patientin. Eine junge Frau mit schwerer Lungenerkrankung. Ihr Mann ist verstorben und so muss sie sich allein um die vier Kinder kümmern. Drei davon gehen mit der Mutter zu den Müllplätzen, um Papier oder andere verwertbare Materialien zu sammeln. Nur so kann die Familie ihren Lebensunterhalt verdienen. Keines der Kinder besucht eine Schule. Es gibt noch weitere Beispiele, die Liste wäre lang. Das Leben hier ist anstrengend, auch für uns German Doctors. Aber wie ich jedes mal wieder feststelle, bin ich sehr froh hier zu sein. Wie gut es ist, mithelfen zu können. So können wir die Not dieser Menschen wenigstens ein bisschen mildern!