Taxischulden sind Ehrenschulden

Teil 8 des Einsatzberichts von Dr. Barbara Müllerleile aus Kalkutta

Die Santoshpur Ambulanz in Kalkutta

Heute war ich in Santoshpur. Diese Ambulanz liegt außerhalb von Kalkutta. Als wir ankamen sahen wir nur wenige Patienten. 10 Kinder, die alle nicht sehr krank aussahen. Insgesamt 64 Patienten. Für Theda und mich ein Kinderspiel.  Leider hatte mein erster Patient, 32 Jahre, nicht nur eine offene Tuberkulose, sondern war auch noch HIV positiv. Er kam wegen einem seltsamen Hautausschlag. Ich habe ihn zum Test geschickt und als er heute Nachmittag zurück kam, war es klar. Er bekommt jetzt noch zusätzliche Medikamente. Lange wird er nicht überleben, er wiegt nur noch 38 kg bei 1,72 m Körpergröße. Danach kamen die Kinder, sie waren alle nicht sehr krank, auch bei den Männern war sonst keiner dem es richtig schlecht ging. Bei den Frauen hatte ich ein 18-jähriges Mädchen, seit einem Jahr verheiratet und jetzt seit 2 Monaten keine Menstruation. Was könnte das wohl sein? Der Schwangerschaftstest ist positiv. Sie ist schwanger und weint vor Freude und ihre Schwiegermutter gleich mit. Wenn ich nächstes Jahr wieder nach Kalkutta komme, kann sie mir ihr Baby zeigen. Um 15 Uhr sind wir fertig. Auch gut. Wir fahren in die Stadt gucken noch wenig am New Market nach Geschenken, weil Theda am Samstag wieder zurück nach Deutschland fliegt. Dann gehen wir ins Lindsay aufs Dach trinken Eistee und beobachten den Sonnenuntergang. Anschließend geht es zügig mit dem Taxi nach Howrah.

Die Howrah bridge erstreckt sich über den Hoogli

So langsam lebt man sich ein

Heute wieder Forshore Road. Ich habe schon um die Ecke geschielt als wir eingebogen sind, um zu sehen, ob jemand liegt. Tatsächlich lag ein junger Mann da und sah nicht so gut aus. Ich habe ihn gleich reingeholt und mir war sofort klar, dass geröngt werden muss – er hat sicher eine offene Tuberkulose. So langsam kriege ich einen Blick dafür. Sonst gab es nix Spektakuläres. Einen kleinen Jungen habe ich mit seiner Mutter auf die Childrensward mitgenommen. 5 Monate alt und mit 4 kg ein Leichtgewicht. Nach Feierabend bin ich noch lange am Kanal entlang gelaufen.

So langsam werde ich hier heimisch. Anschließen habe ich mit den Kolleginnen gegessen, das war nett. Morgen reist Theda ab. Nächste Woche bin ich dran. Wie gut, dass ich noch Urlaub habe. Von Gestern war ich sehr krank, deshalb gab es keinen Bericht. Ich war nicht arbeiten und lag den ganzen Tag im Bett. Heute geht es wieder. Deshalb bin ich heute auch schon um 7 Uhr aufgestanden um nach dem Frühstück Richtung Blumenmarkt zu gehen. Leider bekam ich zügig weiche Knie und bin dann schnell in ein ToTo gestiegen und zu Dänisch Sk gefahren. Dort bin ich in den Bus gestiegen und bis zur alten Howrah Bridge gefahren. Ein echtes Abenteuer! Im Blumenmarkt stinkt es nach Tagetes und hier ist ein unglaublicher Dreck, aber die Blumen sind sehr schön. Ich habe auch zum ersten Mal ein wild lebendes Schwein hier gesehen. Die gibt es eigentlich nur in Benares, dachte ich. Dann bin ich mit dem Taxi ins Fairlown, weil ich so ausgelaugt war. Dort habe ich ausgiebig Tee getrunken. Anschließen ging ich in die Parkstreet zum Oxford Bookshop. Das ist wie Huggendubel in Frankfurt und sehr frisch temperiert.

Später bin ich dann, nachdem ich noch ein bisschen durch die Stadt gelaufen bin, mit dem Taxi zum Dakshineshwar Tempel gefahren – dieser liegt sehr weit außerhalb von Kalkutta. Wieder ein Kalitempel. Die gleiche Prozedur mit den Schuhen. Echt eklig, barfuß durch so einen Tempel zu laufen, mich graust es, wieder in die Schuhe zu schlüpfen. Das Schöne an diesem Tempel: Man kann auf dem Hoogli mit einem Schiff ein Stück fahren und noch einen Tempel besichtigen. Den Belumath-Tempel. Leider hat mein Taxifahrer das nicht geschnallt und hat mich zuerst zum Dakshineswar gefahren Ich wollte dann mit dem Schiff zum Belumath und dort sollte er mich wieder auflesen. Dieser Taxifahrer hat den Auftrag durch einen Mittelsmann bekommen, dem er von den 600 Rupien etwas abgeben muss. Vor dem Fairlown stehen immer klimatisierte Taxis, die locker das Doppelte nehmen, wie ein nicht klimatisiertes Taxi. Es gibt dort auch immer Streit.

Ich war froh, meine Taxischulden begleichen zu können

Wo ist nur das Taxi?

Ich habe meinen Taxifahrer am Tempel warten lassen und bin dann erst in den Tempel und dann aufs Schiff Richtung Belumat. Dort traf ich Nora und wir machten uns zusammen auf den Heimweg nachdem wir alles besichtigt hatten. Bloß in den Hoogli, baden wollte ich auf keinen Fall. Anschließend haben wir uns verlaufen und fanden das Taxi nicht mehr. Es war inzwischen dunkel und die Straße mit dem Taxi war verschwunden. Mit tat das unglaublich leid wegen des Taxifahrers. Er sah verhungert aus und hatte Verlust gemacht, weil er nur den Teil der Fahrt bekommen hatte, den er auch gefahren war. Davon musste er auch dem Vermittler was abgeben. Wir suchten und suchten… Letztendlich entschlossen wir uns ein anderes Taxi zu nehmen. Es war spät und der Weg war weit bis in die Andulroad.

Am nächsten Tag bin ich richtig fit. Ich geh um 9 Uhr in den Botanischen Garten. Leider zu spät, um Vögel zu beobachten. Aber diese himmlische Ruhe. Von meiner Unterkunft bis zum Eingang dauert es eine halbe Stunde an der Andulroad entlang, was auch am Sonntag lebensgefährlich ist. Danach bin ich zur anderen Tür raus und es ist mir echt gelungen einen Bus zu finden, der bis Kalkutta ins Zentrum fährt. Leider hat man ja als Frau in Indien wenig Chancen seinen Willen durchzusetzen. Das habe ich im Bus heute sehr deutlich gemerkt. Ich hatte Sudderstreet gefragt, aber das hat niemand verstanden oder gewusst. Dann habe ich Oberoi Hotel gesagt, wieder Unverständnis. Erst als ich New Market gesagt habe, ging ein Leuchten über die Gesichter und es war klar, wo ich hinwollte. Der Busfahrer war so begeistert über meine Anwesenheit, dass er dauernd anhalten ließ und dann musste ich Fotos machen, ob ich wollte oder nicht. Er hat viele Motive für mich rausgesucht und alle Fahrgäste haben geholfen. An der Hoogli Brücke ist fotografieren eigentlich verboten, aber hier und da musste ich sehr oft Bilder machen und der ganze Bus hat sich riesig gefreut.

Schon früh morgens haben sich viele Menschen vesammelt

Die Schulden begleichen

Blöd wurde es dann, als ich am Oberoi aussteigen wollte. Alle dachten, man muss mich jetzt da abliefern, weil ich New Market gesagt hatte. Weder am Oberoi noch in der Sudderstreet kam ich aus dem Bus. Erst am New Market ließ man mich ziehen unter großer Verabschiedung, mehrfach den Weg erklärend, weil mich noch ein kleines Gässchen vom New Market trennte. Ich wollte aber da ja gar nicht hin, sondern durch eine große Grünanlage zum Victoria Memorial.  Also bin ich losgelaufen als der Bus um die Ecke war. Sehr imposant, dieses Gebäude. Leider hat die Königin die Einweihung nicht mehr erlebt. Danach bin ich noch zur St. Pauls Cathedral gegangen. Sieht wie Westminster in London aus, war aber leider bis 15.00 Uhr geschlossen. Ich hatte keine Lust zu warten, weil Ich noch zum Englischen Friedhof wollte. Ach ja, ich habe ganz vergessen zu schreiben, das ich von meinem gestrigen Taxifahrer die Nummer in meinem Handy notiert, aber irgendwie gestern Abend nicht gefunden hatte. Heute früh war sie wieder da, und ich bat Nora, weil sie ein indisches Handy hat, ihn anzurufen, weil ich ihm seinen Schaden ersetzen wollte. Er hat gesagt, er hat bis 21 Uhr auf mich gewartet und gedacht, ich wäre im Hoogli ertrunken. Nora hat ihm gesagt, dass wir ihn am Abend im Fairlown treffen wollen, damit er sein Geld von gestern bekommt und er uns nach Howrah fahren kann. Nora hatte für sich ein anderes Programm geplant und wir haben uns für 18 Uhr verabredet.  Ich bin von St. Pauls in die U-Bahn gestiegen und bis in die Nähe des Englischen Friedhofs gefahren. So langsam kenne ich mich in Kalkutta aus. Wieder eine Oase des Friedens. Seit Anfang des 17 Jhds. wurde da niemand mehr begraben. Die Inschriften sind noch deutlich zu lesen und ich habe erfahren, wer damals im Hoogli ertrunken ist oder am Fieber gestorben ist. Wenige waren älter als 50 und viele Kinder sind gestorben. Inzwischen ist es 16:30 Uhr. Ich laufe in die Sudderstreet, weil ich mir noch einen Tee gönnen möchte. Nora war im Zoo. Wir machen es uns gemütlich, bis das Taxi kommt und in die Andulroad bringt. Der Fahrer ist sehr, sehr froh mich zu sehen und ich bin mein schlechtes Gewissen los. Damit endet ein weiterer Tag in Kalkutta, die nächsten Aufgaben warten schon auf mich.