Straßenkinder in Indien

Die leidvolle Geschichte von Gitta – aufgeschrieben von Langzeitarzt Dr. Tobias Vogt aus Kalkutta

Ich heiße Gitta und bin 24 Jahre alt. Meine Familie und ich leben auf der Straße in Kalkutta. Wir haben schon seit drei Jahren kein festes Dach mehr über dem Kopf. Mein Mann hat mich vor einiger Zeit verlassen und ich lebe jetzt mit meinem Vater und meinem zweijährigen Sohn allein – Straßenkinder in Indien sind leider keine Seltenheit. Mein Vater hilft manchmal im Hintergrund, Festivitäten wie Hochzeiten zu organisieren, dort zu kochen und aufzuräumen und verdient damit ein klein wenig Geld, so dass es gerade zum Leben reicht.

Und dann bin ich krank geworden…

Mir geht es derzeit nicht gut. Ich habe schlimmen Husten und bin kurzatmig, wenn ich nur eine kurze Strecke laufe. Außerdem bin ich völlig abgemagert, weil ich schon seit Wochen nichts mehr essen kann. Auch habe ich jeden Tag Fieber. Vor zehn Tagen bin ich daher in einem speziellen Tuberkulose-Krankenhaus stationär aufgenommen worden, das von den German Doctors und von indischen Ärzten gemeinsam betrieben wird.

Als es mir gesundheitlich immer schlechter ging, bin ich zum Girja-Hospital gegangen. Das ist eine Stelle, wo deutsche Ärzte einen kostenlos untersuchen und einem Medikamente geben. Für uns Obdachlose ist dies eine bessere Anlaufstelle als die niedergelassenen Ärzte der Stadt oder die staatlichen Krankenhäuser, wo wir kaum eine Chance auf Behandlung haben. Die German Doctors haben gemerkt, dass ich diese Lungenkrankheit habe, und daraufhin bin ich in ein Akutkrankenhaus gekommen, wofür unsere Familie nichts bezahlen muss. Hier haben so ziemlich alle Frauen Husten. Ich habe riesiges Glück gehabt, denn so eine Behandlung erhalten Straßenkinder in Indien normalerweise nicht…

Ich habe schon als Kind auf der Straße gelebt

Meine Mutter hat die Familie schon verlassen, als ich zwei Jahre alt war, und seitdem erinnere ich mich auch an das Leben auf der Straße. So wie viele andere Straßenkinder in Indien, bin auch ich ohne festen Wohnsitz groß geworden. Wir hatten kein Dach über dem Kopf. Als ich vier Jahre alt war, hat eine wohlmeinende soziale Organisation mich in ein Hostel aufgenommen, wo ich geblieben bin, bis ich im Alter von 20 Jahren geheiratet habe. Aber die Ehe hielt nicht lange. Jetzt bin ich wieder auf der Straße, denn mit meiner Heirat musste ich das Hostel verlassen.

Zum Glück helfen mir die German Doctors

Hier im Krankenhaus gibt man sich Mühe mit mir. Wenn ich Sauerstoff brauche, dann bekomme ich sofort welchen, und der tut gut, wenn ich kurzatmig bin. Ich habe allerlei Medikamente zu schlucken. Das Essen ist ganz gut. Wir sind mit sechs Frauen auf einem Flur, jede hat ein Einzelzimmer. Wir verstehen uns eigentlich gut miteinander. Eine der Frauen hier ist taubstumm, so dass man nur eingeschränkt mit ihr kommunizieren kann. Zwei der Frauen bleiben überwiegend im Bett und nehmen Sauerstoff. Ich kann auch nicht weit laufen, aber es reicht, um mir ein wenig die Beine zu vertreten. Alle, die zu uns hereinkommen, tragen eine Maske vor dem Gesicht, um sich zu schützen. Es geht mir schon etwas besser. Die Ärzte sagen aber, dass ich mindestens sechs Monate bleiben muss. Außerdem haben sie gefragt, ob mein Kind mal herkommen kann, damit es auch untersucht wird – hoffentlich ist es nicht auch an Tuberkulose erkrankt…