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Serabu: Von Kräuterpaste und Orthesen

Serabu

Traditionelle Heiler genießen in Westafrika hohes Ansehen. Ihnen vertrauen viele Menschen mehr als westlichen Schulmedizinern. In Serabu kombinieren wir bei Frakturen nun traditionelle und westliche Heilmethoden – mit großem Erfolg.

Ein Knochenbruch ist ein Fluch, eine Strafe für eine soziale Fehlleistung, so die Einschätzung der meisten Sierra Leoner. Folglich suchen sie im Falle einer Fraktur einen traditionellen Heiler auf, der den Fluch rituell austreibt und den Bruch konservativ behandelt. Dafür reibt er das verletzte Körperteil mit einer Kräuterpaste ein und schient die Bruchstelle mit Hilfe fest geschnürter und gespleißter Bambusstäbe. Als Polster dient zumeist nur ein dünnes Tuch. Diese Art der Ruhigstellung nennen die Sierra Leoner „native“ oder „herbal splint“. Leider verursachen die Schienen oft Wunden, über die sich der Knochen entzünden kann. Mögliche Folgen sind eine verkapselte, chronisch eiternde Entzündung, eine chronisch entzündete Schwachstelle oder ein Falschgelenk. Im schlimmsten Fall schreitet die Knochenentzündung fort und es bleibt nur noch eine Amputation, um das Leben des Patienten zu retten.

Nachdem unsere lokalen Krankenhausmitarbeiter in Serabu die erfolgreiche Behandlung von Knochenbrüchen nach westlichen Standards miterlebt haben, schlugen sie vor, die traditionelle und unsere Heilmethoden zu kombinieren. Ein Experiment, dass uns erfolgversprechend schien, und wir unter dem Stichwort „komplementäre Frakturversorgung“ in Serabu gewagt haben.

„Ein bisschen Bammel hatte ich schon, ob da wirklich genügend Offenheit sein würde“, berichtet Dr. Katja Maschuw, Chirurgin und Einsatzärztin, die das Experiment vor rund einem Jahr erstmalig in Serabu wagte. Die einheimischen Kollegen hatten ihr versichert, dass die traditionellen Heiler wegen unserer Behandlungserfolge und unseres unermüdlichen Einsatzes für die Menschen in der Region große Achtung vor unserer Medizin haben – das half, Unsicherheiten zu überwinden. Und tatsächlich: Heiler und Einsatzärztin erklärten einander die jeweiligen Behandlungsprinzipien, verstanden den Ansatz des anderen und respektierten diese. Dann erklärten sie gemeinsam dem Patienten, wie die Behandlung ablaufen würde. Die Fraktur – eine komplette Unterschenkelfraktur – wurde nach einer Schmerzbehandlung in Narkose gerichtet, der betroffene Körperteil mit der traditionellen Kräuterpaste versehen und eine Orthese angelegt. Das Ergebnis war sehr gut. Frakturen und Wunden verheilten ohne Komplikationen und die benachbarten Gelenke sind wieder voll funktionsfähig. „Besser konnte es nicht laufen, im wahrsten Sinne des Wortes. Noch ein Jahr später hat sich der Patient für die gute Behandlung bedankt“, erinnert sich Katja. Auf konservative Frakturbehandlung mit Gipsen, Orthesen, Extension und externen Fixateuren setzen wir, da das Risiko einer Infektion bei einer operativen Versorgung mit verschraubten Platten oder Nägeln uns unter den in Serabu herrschenden hygienischen Bedingungen zu groß ist.

Inzwischen hat eine Arbeitsgruppe aus engagierten German Doctors zum Thema „Chirurgie“ unter der maßgeblichen Initiative unseres langjährigen Einsatzarztes Dr. Uli Bauer weiter an der Verbesserung der Frakturbehandlung in Sierra Leone gearbeitet. Das Ergebnis: Die Einrichtung einer digitalen Röntgenanlage und die Einführung eines Extensionstisches sowie externer Fixateure. Diese Geräte sollen fortan zur Erstversorgung von Frakturen genutzt und deren Anwendung in das Ausbildungskonzept der Clinical Health Officer integriert werden. Katja wird von Mai bis September wieder vor Ort sein, um die neuen Geräte einzuführen, die Mitarbeiter zu schulen und die Zusammenarbeit mit den Heilern weiter auszubauen. Übrigens sind die Heiler auch wichtige Multiplikatoren bei der Aufklärung innerhalb der Bevölkerung. Und Aufklärung dahingehend, dass die Menschen UNMITTELBAR nach dem Knochenbruch ins Krankenhaus kommen sollen, ist wichtig, Manch ein Patient sucht die Klinik erst auf, wenn die traditionelle Medizin versagt hat und ein Gliedmaß nur noch amputiert werden kann. Das führt zu einer negativen Mund-zu-Mund-Propaganda gegen die westliche Medizin – etwa in der Art: „Gehst Du mit einer Fraktur ins Krankenhaus, wirst du amputiert“. Amputationen rufen, neben allen berechtigten Ängsten, in Sierra Leone auch traumatische Erinnerungen an den Bürgerkrieg wach, der zwischen den Jahren 1991 und 2002 wütete. Widersachern der Rebellenbewegung wurden vor der Wahl Hände und Arme abgehackt, damit sie ihren Daumenabdruck nicht den politischen Gegnern geben konnten. Gräueltaten, die sich fest ins Gedächtnis der Menschen eingebrannt haben. Wir hoffen, das Vertrauen in die westliche Medizin mithilfe der traditionellen Heiler stärken zu können.