Herr Dr. Kischlat, die German Doctors feiern in diesem Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum. Was löst das in Ihnen aus?
Kischlat: Erst mal große Freude, dass sich aus einer ersten Idee und den Anfängen in den Achtzigern eine so nachhaltig und langfristig tätige Organisation entwickelt hat, die heute – durchaus nach einigen
Stürmen – auf solider Basis steht. Dann Dankbarkeit für das dahinterstehende Engagement all unserer ehrenamtlich tätigen Einsatzärztinnen und -ärzte und all der Kolleginnen und Kollegen bei unseren lokalen Partnern, welche die Arbeit überhaupt erst ermöglichen, sowie natürlich gegenüber all unseren Unterstützerinnen und Unterstützern. Und schließlich Respekt vor der daraus entstehenden Verpflichtung, die Arbeit gut in die Zukunft zu führen, und zwar mit allem dafür immer wieder notwendigen Wandel.
Was zeichnet die German Doctors in Ihren Augen besonders aus, Frau Dr. Winkelmann?
Winkelmann: Herausragendes Merkmal unserer Arbeit ist sicherlich die langfristige und nachhaltige Ausrichtung durch den besonderen Fokus auf die Aus- und Weiterbildung unserer lokalen Teams, ganz nach dem Motto von German Doctors: „Hilfe, die bleibt“. Darüber hinaus zeichnet uns der ganzheitliche Ansatz aus, in dem das Thema Gesundheit verbunden wird mit angrenzenden Themen, wie beispielsweise Ernährung und WASH – also der Wasser- und Sanitärversorgung – und in dessen Zentrum die Rechte unserer Zielgruppen stehen.
Das ist der Rahmen für die Kurzzeiteinsätze der Ärztinnen und Ärzte in den aktuell sieben Partnerländern von German Doctors. Eingebettet in ein bestehendes Team vor Ort können sie mit ihrer Expertise zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen, aber auch selbst Erfahrungen sammeln zur Gesundheitssituation in den Partnerländern und zu den zugrunde liegenden globalen Zusammenhängen.
„Leider haben uns die Covid-Pandemie und die weltweiten Folgen des Ukrainekrieges wieder zurückgeworfen. Das heißt, es gibt viel zu tun, um unsere Welt nicht nur, aber auch bezogen auf die Gesundheitsversorgung dauerhaft gerechter zu gestalten."
Dr. Harald Kischlat
ist seit 2002 für German Doctors tätig.
Seit 2011 ist er als Vorstand verantwortlich für die Vereinsleitung,
administrative Abläufe sowie für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising.
Herr Dr. Kischlat, können Sie in wenigen Sätzen die bedeutendsten Fortschritte in der Entwicklungszusammenarbeit in den vergangenen vier Jahrzehnten skizzieren?
Kischlat: Erfolge gab es in den letzten Jahrzehnten insbesondere bei einem Thema, das auch uns sehr wichtig ist: der Senkung der Kinder- und Müttersterblichkeitsraten. Die verstärkte Ausbildung von Fachkräften wirkt sich hier sehr positiv aus, und die German Doctors haben daran in ihren Einsatzgebieten durchaus einen Anteil. Erfolge gab es auch bei den Themen Armutsbekämpfung, Schulbesuch, Ernährungssicherheit und anderen.
Aber leider haben uns die Covid-Pandemie und die weltweiten Folgen des Ukrainekrieges wieder zurückgeworfen. Das heißt, es gibt viel zu tun, um unsere Welt nicht nur, aber auch bezogen auf die Gesundheitsversorgung dauerhaft gerechter zu gestalten.
Aus Ihrer ganz persönlichen Sicht: Über welche Entwicklungen bei den German Doctors haben Sie sich ganz besonders gefreut?
Kischlat: Ich freue mich immer wieder über das hohe Engagement unserer Einsatzärztinnen und -ärzte sowie der Mitarbeitenden bei den Partnerorganisationen. Ich finde es sehr gut und richtig, dass wir in den letzten zehn Jahren die Ausbildung von Gesundheitspersonal vorantreiben konnten. Ein Anliegen von Anfang an war mir, die Arbeit zur besseren Erfüllung unseres Auftrags zu professionalisieren. Da waren wichtige Meilensteine zum Beispiel die Einführung von Richtlinien zum Kindesschutz und zur Prävention von Korruption oder einer stärker wirkungsorientierten Herangehensweise.
Und ich bin froh, dass wir trotz gewachsener Strukturen immer noch eine Organisation sind, die schnell auf Veränderungen reagieren und dann auch professionell agieren kann. Das haben wir in der Pandemie unter Beweis gestellt und tun es auch jetzt in der veränderten Lage durch den Ukrainekrieg.
In einer so langen Vereinsgeschichte gab es sicher auch Momente, die schwierig waren. Möchten Sie davon erzählen?
Kischlat: Ja, natürlich. Wir arbeiten mit Menschen, Menschen sind fehlbar, und manchmal müssen sich Wege auch trennen. Ich denke aber, wir haben aus den Fehlern und früheren blinden Flecken gelernt und die jeweils richtigen Schritte abgeleitet – zum Beispiel Standards zu wichtigen Bereichen, wie Kindesschutz, Anti-Korruption und anderen eingeführt. Wenn ich auf die Projekte schaue, fallen mir auch schwierige Situationen ein. Ein paar kann ich hier herausgreifen: die extrem gewaltsamen Unruhen nach den Wahlen in Kenia 2007/2008, zu denen es auch in direkter Nachbarschaft unserer Ambulanz Baraka kam. Wir mussten kurzfristig die Arbeit einstellen und alle Ärztinnen und Ärzte zurückholen.
Schwierig war auch die Entscheidung im Jahr 2017, aufgrund gestiegener Terrorgefahr alle Einsätze auf der philippinischen Insel Mindanao zu beenden. Aus allen Krisen nehmen wir aber auch immer wieder Erfahrungen mit, wie wir es in Zukunft besser machen können.
„In zehn Jahren ist German Doctors noch stärker zu der Organisation geworden, die mit medizinischer Expertise Ländern zur Seite steht und dabei besonders die Aus- und Fortbildung von medizinischen Fachkräften fördert."
Dr. Christine Winkelmann
ist seit 2019 als Vorständin bei German Doctors verantwortlich
für die Entsendung der Ärztinnen und Ärzte und für die Projektarbeit
in den aktuell sieben Partnerländern.
Schauen wir gemeinsam nach vorn. Wo sehen Sie, Frau Dr. Winkelmann, derzeit die größten Herausforderungen für die Entwicklungszusammenarbeit im Allgemeinen und wo für die German Doctors im Besonderen?
Winkelmann: Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bringen seit letztem Jahr die größten Herausforderungen mit sich. Die Länder des Globalen Südens hatten noch mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen, und dann kam der Krieg hinzu, sodass weltweit die Inflation zum Teil dramatisch zugenommen hat. Nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch andere alltägliche Bedarfe haben sich sehr verteuert. Wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Menschen schon vor der Covid-Pandemie und vor Kriegsbeginn mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze auskommen musste, kann man sich vielleicht vorstellen, wie viel schwerer die (Über-)Lebensbedingungen jetzt sind.
Verschärfend kommt hinzu, dass viele Länder schon sehr konkret mit den Folgen der Klimakrise zu kämpfen haben: In Ostafrika hat es in vielen Landstrichen seit zwei bis drei Jahren nicht oder viel zu wenig geregnet. Das Vieh verendet, die Felder vertrocknen, und die Menschen – jetzt abhängig von Hilfe – vegetieren vielerorts in Camps. Auf den Philippinen nimmt die Zahl der Zyklone zu, und die Sundarbans in Bangladesch und Indien kämpfen ebenfalls mit einer zunehmenden Zahl an Stürmen und Überschwemmungen. Für German Doctors heißt das konkret, dass wir in vielen Ländern dauerhafter in Ernährungssicherungsmaßnahmen investieren müssen, denn wie kann ein Patient gesund werden, wenn er oder sie kaum etwas zu essen hat? Gleichzeitig setzen wir verstärkt Nothilfemaßnahmen
im Kontext von Naturkatastrophen um.
Wo sehen Sie die German Doctors in zehn Jahren?
Winkelmann: In zehn Jahren ist German Doctors noch stärker zu der Organisation geworden, die mit medizinischer Expertise Ländern zur Seite steht und dabei besonders die Aus- und Fortbildung von medizinischen Fachkräften fördert. Wir werden ein starkes Netz von lokalen Partnerorganisationen haben, die nicht nur über medizinische Kenntnisse verfügen, sondern auch in vielen anderen Bereichen gestärkt wurden.
Grundsatz unseres Handelns wird weiterhin sein, sich für die Verwirklichung der Menschenrechte unserer Zielgruppen einzusetzen und so nachhaltig ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Sie empfangen von uns keine Almosen, sondern wir bestärken sie darin, sich für ihre Rechte einzusetzen. Damit werden wir Teil einer Allianz, die denen eine Stimme gibt, die allzu oft nicht oder nur sehr eingeschränkt gehört werden. Eines ist gewiss: Gemeinsam mit all unseren Einsatzärztinnen und -ärzten, Unterstützerinnen und Unterstützern sowie den Partnerorganisationen werden wir uns weiterhin für das Recht auf gesundheitliche Versorgung überall auf der Welt einsetzen.