Psychisch krank auf Mindanao
Ein Bericht von Einsatzärztin Julia von Hake über einen besonderen Hausbesuch
Auf einer Rolling Clinic wird man mit so allerhand Dingen konfrontiert, die man noch nicht gesehen oder erlebt hat. Was mir von der letzten Tour im Gedächtnis bleiben wird ist Ester. Ein paar Health Worker aus der einen Gemeinde, wo wir waren, berichteten uns von ihr. Ester ist eine junge Frau, die psychotisch ist, und das nicht erst seit ein paar Wochen, sondern seit Jahren. Wir werden gefragt, ob wir einen Hausbesuch machen können. Mein Team sagt sofort zu und so fahren wir nach unserem regulären Arbeitstag zum Haus von Esters Mutter, die Ihre Tochter wieder bei sich aufgenommen hat. Ester ist Anfang 40 und seit ca.15 Jahren psychisch krank, mit zeitweiligen Agressionen und Halluzinationen.
Laut der Mutter fing alles mit der Geburt Ihrer letzten Tochter an. Ester begann Unsinn zu reden, sich auszuziehen und nackt durchs Dorf zu laufen und letztendlich auch wegzulaufen. Die Mutter, die Mitte 70 ist, wusste sich irgendwann nicht mehr zu helfen und fesselte Ihre Tochter mit einem Seil am Fuß an. Das ist jetzt ungefähr 5 Jahre her. So finden wir Ester dann auch vor, nackt und angebunden. Ester redet nicht mehr. Blickkontakt ist nicht möglich. Der Anblick ist irgendwie verstörend und gleichzeitig auf den Philippinen auch keine Seltenheit. Oft werden diese Patienten verheimlicht. Psychisch krank ist irgendwie zu abstrakt.
Das Problem von Ester und Ihrer Mutter ist zusätzlich, das keiner die beiden versorgen kann. Esters Mann ist im Gefängnis, der Vater gestorben und die Kinder weit weg. Die Mutter versucht so gelegentlich bei Feldarbeiten zu helfen, um Essen zu bekommen. Ich entscheide mich für einen Versuch mit unseren Standardpsychopharmaka und lasse der Mutter übersetzen, dass das oberste Ziel ist, ihr Kind von Ihren Fessel zu befreien, damit sie sich wieder frei bewegen kann ohne wegzulaufen. Bis dahin wird es ein langer Weg sein.
Zum Schluss gehen wir noch zum Bürgermeister und besorgen einen Sack Reis und Essen für die beiden. Die Mutter sah glücklich aus, als wir mit den Nahrungsmitteln gekommen sind. Was muss das für ein Gefühl sein? Ich kenne es nicht.
In solchen Momenten haben wir zwar nicht viel an Esters mentalem Zustand ändern können, aber immerhin wird jetzt alle 6 Wochen ein Arzt bei Ester vorbeischauen und vielleicht ist der lange Weg doch kürzer als gedacht und sie ist schon bald so stabil, dass wir sie einem Psychiater vorstellen können. Psychisch krank zu sein auf Mindanao ist wirklich kein schönes Schicksal…
Interessant und tragisch zugleich.
Meine Frau heißt auch Esther (mit „h“) und stammt ebenfalls aus Sierra Leone, allerdings aus der Hauptstadt Freetown. Sie ist also ein“ Stadtkind“.
Viele Grüße aus Kaiserslautern!