Sunod, sunodpo (der Nächste bitte)!
Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Fuhrmann aus Mindoro
Die Nächte in Sochoro sind kurz. Wir, das sind Übersetzerin Lallyn, Cecil als Hebamme und engagiert in Gesundheitserziehung, Leios der Pharmazeut und Ronaldo, unser Fahrer und Mädchen für alles und ich sind in einem Raum untergebracht, der mit Tüchern unterteilt Privatssphäre suggeriert. Leise ist es fast nie: Erst die Frösche, dann die Hähne sorgen noch vor 5.00 Uhr morgens für die erste Geschäftigkeit. Meine Mitarbeiter bereiten schon das Tagesmenü vor – Reis mit wechselnden Gemüse oder Fleischanteilen. Gegen 7.00 Uhr ist alles bereit und wir starten im Landcruiser als autarke basismedizinische Versorgungsstation auf unterschiedlichen Pisten zu täglich wechselnden „areas“, den Wohngebieten der Mangyans, die Ureinwohner der Insel. Zum Teil dem Flusslauf folgend geht es auf holprig-glitschigen Trassen bis zu zwei Stunden Fahrtzeit durch z.T. üppige Tropengebirgslandschaft. Eine Ansammlung von Hütten aus Palmstroh oder auch Wellblech markiert das Tagesziel; meist kauern schon Patienten an zentraler Stelle unter Regen-Schattendach, teilweise schon von Freiwilligen mit Karteikarten registriert und warten auf uns. Die Mehrheit unserer Patienten sind Mütter mit ihren Kindern. Alles wirkt unaufgeregt, auch wenn manche wohl schon zwei Stunden Fussweg im Tropenregen hinter sich haben, um zum Ambulanzort zu gelangen. Die Infrastruktur für unseren Medizinstützpunkt ist rasch eingerichtet: Wartezone mit öffentlichem Vermessen von Gewicht, Temperatur und/oder Blutdruck sowie Kurzanamnese und verschiedenen „lectures“ zur Gesundheitserziehung und auch Familienplanung (z.B. Phallusmodell zur praktischen Condomerprobung); davon separiert und durch Tücher vor allzuviel Neugier geschützt der Behandlungsraum im Kirchenraum oder Teil einer Langhütte; als drittes noch der Pharmaziebereich, wo im Behandlungsanschluss Medikamente ausgegeben werden.
Ein Campingtischchen mit Diagnostika und Dokuzetteln ist Mittelpunkt des Dreiecks Patient/ Übersetzerin/ Arzt. Nach hellem Sunod lässt sich typischerweise eine Mutter mit Kind im Tragetuch sowie ein oder zwei weitere Kinder im Schutze des Rockes auf der Kante des mitgeführten Plastikstuhles nieder, bestenfalls mit scheuem Blick den Doktor streifend und eher mit der meist vertrauten Dolmetscherin Kontakt suchend. Der Behandlungsanlass ist meist rasch definiert, Armut als mitentscheidende Krankheitsursache leicht auszumachen. Bilder chronisch entzündeter Haut bei miserablem Ernährungszustand, desolatem Zahnstatus, chronischem Husten bei „indoor-cooking“ prägen sich ein. Und es sind die Gesichter der Patienten, die sich einprägen: es ist meist ein stilles Leiden, ein klagloses Aushalten existenzieller Ausweglosigkeit – zumindest nach den Kriterien europäischer Krankheitskultur. Dagegen spricht, dass die Stimmung der Wartenden durchaus nicht deprimiert wirkt: man kauert, kaut Betelnuss und spuckt, gickelt und fügt sich in Geduld. Medizinisch ragen Fälle fortgeschrittener extrapulmonaler Tuberkulose heraus, die aber bei engagierter Langzeittherapie über die dots-partner ermutigende Therapieerfolge zeigen.
Ein Behandlungstag bei dem zwischen 50 bis 100 Patienten gesehen werden, zieht sich bis zum Nachmittag, unterbrochen von Kaffeepause und Mittagessen; besonders rührt es einem an, wenn kleine Naturaliengaben von den Patienten als Zeichen des Danks scheu mitgebracht werden. Am Tagesende macht zufrieden, wenn z.B. ein oder zwei schwer erkrankte Patienten mit viel Zuspruch und Improvisation ins Hospital transferiert werden konnten; es macht aber auch nachdenklich, wenn man sich klar macht, dass die nächste ärztliche Kontrolle hier erst in vier Wochen stattfinden kann oder manche Verdachtsdiagnose unter den gegebenen Umständen keine weitere Abklärung oder gar Behandlung finden kann.
Dieses Neugeborene kam völlig dehydriert und apathisch zu uns. Es war in Lebensgefahr. Es bedurfte viel Zuredens die junge Mutter zu überzeugen, das Baby und sie in ein Krankenhaus zu transferieren. Ich war heilfroh, das Baby dort später stabilisiert besuchen zu können.
Eine Frage kommt mir immer wieder bei den Einsätzen: Ist das ganze eher eine medizinische Feigenblattaktion zur Gewissensberuhigung unserer medizinischen Überflusssituation? Ich denke nein, weil diese regelmässig und langfristig geleistete medizinische Nothilfe den Betroffenen Zugehörigkeit signalisiert und Zeichen setzt für den Anspruch, dass jeder Einzelne zählt. Also weiter: sunodpo.
Nachdem ich letztes Jahr Oktober -November auf Mindoro war hat mich dieser so wahrheitsgetreu u lebendige Bericht zu Traenen geruehrt. Allen wird man nie in dieser Armut helfen koennen aber jede noch so kleine Hilfe tut diesen Menschen auch fuer ihre Seele gut .Nicole Diederich