Rund 86 Prozent der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren sind in Sierra Leone laut Angaben von UNICEF beschnitten (Zahlen aus 2017). Die Folgen dieses gravierenden Eingriffs sind vielfältig: Sie reichen von starken Schmerzen und Schock über schwere Blutungen – im schlimmsten Fall mit Todesfolge –, Infektionen, Zysten und Unfruchtbarkeit bis hin zu Komplikationen bei späteren Entbindungen und schweren psychologischen Problemen. Doch trotz der gesundheitlichen Risiken ist dieser brutale Eingriff in Sierra Leone noch immer alltäglich, er gilt verharmlosend als Aufnahmeritual von Mädchen in die Erwachsenenwelt.
Nachfrage nach Präventionsprojekt überwältigend
Um dem ein Ende zu setzen, unterstützen wir seit einem Jahr das Präventionsprojekt „My body my right“ unserer Partnerorganisation Commit & Act Foundation Sierra Leone und weiten nun die Kapazitäten dieses Programms auf Grund der großen Nachfrage zum zweiten Mal aus. Ab Oktober nehmen wir 200 weitere Mädchen auf und verdreifachen so den Teilnehmerinnenkreis im Vergleich zum Projektstart auf 600 Mädchen. Dass die Nachfrage nach einer Aufnahme in das Programm steigt, mag fast ein wenig überraschen, wenn man davon ausgeht, dass diese Praxis tief in der sierra-leonischen Gesellschaft verwurzelt ist. Zwangsläufig stellt sich die Frage nach dem Erfolgsrezept des Projekts der Commit & Act Foundation Sierra Leone und der German Doctors. „Das Geheimnis der breiten Akzeptanz liegt in seinem Mehrebenenansatz“, erklärt Christine, in deren Verantwortungsbereich das Projekt fällt. „Die Initiative setzt bei allen wichtigen Zielgruppen an: bei den Mädchen selbst, ihren Eltern und anderen Bezugspersonen, in den Schulen, Gemeinden und mittels Lobbyarbeit auch auf staatlicher Ebene. Wir klären auf, setzen uns für Bildung ein und eröffnen sowohl den Eltern kurzfristig als auch den Mädchen langfristig berufliche Perspektiven. Nur so können wir einen grundlegenden Wertewandel in der sierra-leonischen Gesellschaft unterstützen sowie Mädchen und Frauen ermöglichen, selbstbestimmt zu leben.“
Bildung ermöglicht den Mädchen ein selbstbestimmtes Leben
Praktisch gestaltet sich das wie folgt: Projektmitarbeitende führen zunächst eine Reihe von Aufklärungsveranstaltungen in den Gemeinden durch. Dabei zeigen sie die vielfältigen negativen Auswirkungen der Beschneidungspraktiken auf. Immer wieder betonen sie auch die Wichtigkeit von Schulbildung für die Mädchen. Untermauert wird der Appell durch die Bereitstellung von Schulmaterialien. Zusätzlich richten die Mitarbeitenden sogenannte „Clubs“ in den Schulen ein, die von den Projektteilnehmerinnen selbst geleitet und von Lehrerinnen und Lehrern mitbetreut werden. Durch das Engagement in den Clubs steigt das Selbstbewusstsein der Mädchen in dem Sinne, dass sie sich als modern und selbstbestimmt wahrnehmen und darin unterstützt werden. Die Lehrerinnen und Lehrer berichten, dass sich die schulischen Leistungen der Mädchen mit ihrem wachsenden Selbstbewusstsein gesteigert haben. Und sie werden nicht mehr von den anderen Mädchen stigmatisiert, sondern bewundert und als Vorbilder angesehen. „Ein Wertewandel und die Veränderung einer gesellschaftlichen Praxis braucht natürlich Zeit. Aber das große Interesse an dem Projekt zeigt auch, dass die Zeit für den Wandel reif ist und dass wir hier zum richtigen Zeitpunkt die Partnerinnen vor Ort unterstützen“, so Christine.