Ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in Aleppo
Camp bei Aleppo, in der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien ©Ahmed Ibrahim
Wie ist die aktuelle Situation in den Flüchtlingslagern? Wo gibt es noch akuten Bedarf?
Die nordwestliche Region Syriens steht aufgrund der politischen Lage und der Blockaden durch die syrische Regierung und den türkischen Staat vor großen Herausforderungen. Der Mangel an Hilfsgütern, einschließlich medizinischer Versorgung, Treibstoff und Strom hat die Region stark beeinträchtigt. Außerdem hat das Erdbeben die Häuser weiter beschädigt und die Zahl der Menschen in den Camps erhöht.
Etwa 2.500 Menschen aus den beiden Vierteln Sheikh Maqsoud und Ashrafieh mussten in die von AANES (Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien) errichteten Auffanglager im Norden von Aleppo (die dort seit dem Bürgerkrieg installiert wurden, Anmerkung der Redaktion) umziehen.
In den Auffanglagern Serdem und Berkhodan unterhält der KRC (Kurdish Red Crescent/Kurdischer Roter Halbmond) jeweils ein PHCC (Primary Health Care Center/Erste-Hilfe-Center). Der Mangel an medizinischem Material, einschließlich medizinischer Geräte und Ausrüstungen, stellt das Team vor große Herausforderungen bei der Bereitstellung angemessener medizinischer Dienste.
Aber es fehlt nicht nur an medizinischem Material. Eine weitere große Herausforderung für die Bevölkerung ist der Mangel an Treibstoff und die Abtrennung vom öffentlichen Stromnetz.
Die Bevölkerung in den beiden, seit dem Bürgerkrieg in Syrien bestehenden IDP-Lagern (Internally displaces Person) in Aleppo, Berkhodan und Serdem hat im Vergleich zum Zeitpunkt vor dem Erdbeben deutlich zugenommen. Das Sardam Camp hat über 490 Familien aufgenommen und ist damit um 231 Zelte gewachsen. Im Berkhodan Camp wurden 512 Erdbebenopfer aufgenommen.
Im Rahmen unseres Projekts mit German Doctors e.V. haben wir 400 Notunterkünfte für 1.000 Menschen zur Verfügung gestellt und über 400 Familien in den Lagern mit Hygiene Paketen versorgt.
In Aleppo wurden die Lager erweitert und es sind 190 zusätzliche Zelte entstanden. Um denjenigen, die nicht in ihre Häuser zurückkehren konnten, eine sichere Unterkunft zu bieten, wurden sie sowohl mit Winter- als auch mit Sommerausrüstung ausgestattet.
Der Bevölkerungszuwachs in der Region hat auch die Gesundheitseinrichtungen unter Druck gesetzt, so dass das Krankenhaus von Fafin erweitert und renoviert werden musste. Die medizinische Versorgung wurde sogar auf die gesamte abgeschnittene Region ausgedehnt. Wir (das KRC) konnten die medizinischen Einrichtungen zumindest teilweise mit Solarenergie versorgen.
Verbesserung der Lebensqualität durch die Unterstützung der German Doctors
Ganz besonders konnte die erfolgte Sanierung der 10 Gesundheitseinrichtungen dazu beitragen, dass sich die Lebensqualität der Menschen vor Ort deutlich verbessert hat. Durch die weitere Unterstützung mit Mitteln für die Beschaffung von Medikamenten für diese Einrichtungen, konnten die Patientinnen und Patienten basismedizinisch versorgt und auch Leben gerettet werden.
Langfristig und generell versucht das KRC, Gesundheitsstationen, die sich nicht in den Lagern befinden, in die Selbstverwaltung zu überführen, damit sie Teil des allgemeinen öffentlichen Gesundheitssystems und der Infrastruktur werden.
Ebenso wirkte sich die Verteilung von 400 Hygiene-Paketen deutlich positiv auf die Gesundheit vor Ort aus. Wir konnten einen Rückgang der wasserbedingten Krankheiten, verbesserte Hygienepraktiken und ein stärkeres Bewusstsein der Gemeinschaft für gesundheitsrelevante Themen feststellen. Wir werden die Situation weiterhin genau beobachten und mit den Partnern vor Ort zusammenarbeiten, um diese Verbesserungen aufrechtzuerhalten und alle neu auftretenden gesundheitlichen Probleme anzugehen.
Generell ist zu erwähnen, dass die Nothilfe, vor allem in den westlichen Regionen, der Bevölkerung auch ein wenig Hoffnung zurückgegeben hat, indem sie ihr gezeigt hat, dass wir mit der Unterstützung unserer Partner vor Ort sind, was auch eine Art Erinnerung war, dass die Bevölkerung in diesen unterversorgten Gebieten nicht vergessen ist. Durch die Folgeprojekte und die nachhaltige Umsetzung wird dieses Verständnis sogar noch verstärkt. Allerdings müssen wir auch vorsichtig sein, keine langfristigen Versprechungen zu machen, da wir auch damit rechnen, dass die Mittel für dieses Gebiet, aber auch für andere Regionen, in Zukunft zurückgehen könnten und die Angriffe der türkischen Regierung auf die zivile Infrastruktur in NES und NWS eine große Bedrohung für die Bevölkerung darstellen.
Wie arbeitet das Team vor Ort?
Vor Ort wurden viele neue Mitarbeiter eingestellt. Ebenso wie diese wurden auch die Mitarbeiter der Selbstverwaltung in Shahbah/Aleppo geschult.
Auch wenn die Arbeit vor Ort für unsere Teams sehr herausfordernd war und ist, selbst für diejenigen mit langjähriger Erfahrung, hatte es für alle Teams den positiven Effekt, dass wir uns selbst wieder versichern konnten, dass wir in der Lage sind, der betroffenen Bevölkerung schnell und effizient zu helfen, dank einer guten und effizienten Teamarbeit aller Mitarbeiter des KRC. Dies gilt insbesondere für die Teams in den nordwestlichen Gebieten.
Welche Maßnahmen sind mit den German Doctors 2024 geplant?
2024 werden weitere 5 Gesundheitszentren saniert und mit Medizinischem Gerät sowie einer Solarenergie für die unabhängige und nachhaltige Stromversorgung ausgestattet.
Zudem werden wir weiter an unsere von German Doctors unterstützten WASH-Maßnahmen anknüpfen. Hier ist zum Beispiel auch der Bau von weiteren Wasserleitungen geplant.
Bau eines Kinderzentrums geplant
Das Shahaba-Gebiet und die Binnenflüchtlingslager stehen derzeit vor großen Herausforderungen, die sich negativ auf das psychische Wohlbefinden der Bewohner auswirken. Die erschütternden Lebensbedingungen und die traumatischen Erfahrungen des Erdbebens haben zu einem dringenden Bedarf an psychosozialen Unterstützungsdiensten (PSS) geführt. Das KRC verfügt über einen engagierten PSS-Mitarbeiter, der aktiv an der Umsetzung eines Programms zur Befriedigung der psychosozialen Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerung beteiligt ist. Daher plant KRC in Zusammenarbeit mit German Doctors den Bau eines Kinderzentrums im Lager Berxwedan und die Ausstattung von zwei weiteren Zentren in anderen Flüchtlingslagern im Jahr 2024. Damit die jungen Menschen einen sicheren Raum haben, in dem sie sich wohl fühlen, werden wir auch kinderfreundliches Mobiliar anschaffen.
Auch die Aufstockung aller PHC-Dienste stehen auf unserer Liste. Hier wollen wir zusätzliche Teams einsetzen, um die Arbeitszeiten zu verlängern und die Notaufnahme zu vergrößern. Dazu benötigen wir natürlich zusätzliche Mengen an Medikamenten in den betroffenen Gebieten.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind Sensibilisierungsseminare für Frauen zu den Themen Gesundheit und Mutterschaft sowie allgemeine Gesundheitsvorsorge, Aufklärungsseminare über Naturkatastrophen und Selbstschutz für gefährdete Gruppen, die in Zelten leben.
Es gibt noch viel zu tun, so müssen zum Beispiel einige kleinere Teile des Abwassersystems in Aleppo repariert werden. Generell besteht immer noch ein großer Mangel an Stromversorgung.
Zudem müssen einige Probleme in der Infrastruktur angegangen werden, wie z. B. das Abfallproblem, das je früher desto besser gelöst werden muss, um eine weitere Verschmutzung des Bodens zu verhindern. Daher ist hier der Bau einer Müllverbrennungsanlage vorgesehen. In diesem Zusammenhang wird ein Müllfahrzeug angeschafft und das Personal mit Schutzkleidung ausgerüstet.
Dennoch ist an einen vollständigen Wiederaufbau vorerst noch nicht zu denken, auch wenn die Gesamtkosten relativ gering sind. Die humanitären Lebensbedingungen und die Folgen des Erdbebens werden uns noch lange Zeit begleiten.
Hilfsbereitschaft und Zuversicht
Alles in allem können wir ein Jahr nach dem verheerenden Beben sagen, dass die schnelle Reaktion der KRC-Teams und ihrer Partner eine positive Auswirkung für die Region hatte. Ein bisschen Glück in einer sehr großen Katastrophe. Ohne die herausragende Solidarität der Menschen in Europa und die schnelle Reaktion unserer Partner, insbesondere der German Doctors wären die Folgen des Erdbebens noch viel verheerender gewesen. Auch wenn es noch viel zu tun gibt, sind wir uns dessen bereits bewusst und möchten uns an dieser Stelle im Namen aller bei der spendenden Bevölkerung und unseren Partnern bedanken!