Besuch in Kailahun, Sierra Leone: "Die Zusammenarbeit könnte nicht besser sein"
Frau Dr. Weber, Sie sind die erste Einsatzärztin in unserem neuen Projekt in Kailahun, Sierra Leone. Warum haben Sie sich für dieses Projekt entschieden?
Die Vorstellung, in einer rolling clinic zu arbeiten, fand ich schon immer reizvoll, war aber während meiner aktiven Phase als Gynäkologin immer an Spitäler gebunden wegen der operativen Tätigkeit. Seit 2011 bin ich immer wieder zu Kurzeinsätzen in Sierra Leone gewesen und habe eine besondere Beziehung zu Land und Leuten entwickelt. Als die Anfrage für das neue Projekt in Kailahun kam, musste ich nicht lange überlegen, es hat das einfach gepasst.
Interessant und gut finde ich an dem Projekt, dass es eine Kooperation zwischen den staatlichen Gesundheitszentren, der Partnerorganisation MoPADA und German Doctors/Swiss Doctors ist und dadurch keine Parallelstrukturen aufgebaut werden.
Ist dies Ihr erster Einsatz für die Swiss Doctors?
Es ist mein zweiter Einsatz; 2007 war ich im Spital in Buda auf den Philippinen.
Was motiviert Sie, ehrenamtlich zu arbeiten?
Ich durfte in Europa eine hervorragende Ausbildung genießen, einfach dadurch, dass ich da geboren bin. Schon seit Jugend habe ich mich sozialen Fragen beschäftigt und auf meinen Reisen durch die Welt die enorme Kluft zwischen armen und reichen Ländern gesehen. Dies hat mich nachhaltig geprägt. Es ist für mich erschütternd zu sehen, unter welchen Bedingungen viele Menschen leben müssen. Deswegen möchte ich einen kleinen Beitrag leisten und meine Zeit und mein Wissen an die Ärmsten weitergeben.
Was war Ihr erster Eindruck vor Ort?
Alles war gut vorbereitet, wir wurden sehr herzlich empfangen. Alle Mitarbeiter sind sehr motiviert. Man spürt, dass sie mit Herzblut bei dem neuen Projekt dabei sind.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Wir fahren von Montag bis Freitag jeweils um 8 Uhr los, jeden Tag in ein anderes PHU (primary health unit), also einen Gesundheitsposten, insgesamt sind 15 PHUs in das Projekt eingeschlossen. Die Zentren sind unterschiedlich weit entfernt, die längste Anfahrt war 3 Stunden für 70km, da die Straßen in erbärmlichen Zustand sind. Unser Kommen wird vorher über Radio kommuniziert und meistens warten schon viele Menschen auf unser Team. Nach kurzer Erklärung durch Emmanuel Maada Jusu von MoPADA beginnen wir mit der Sprechstunde, die wir, unterbrochen von 20 Minuten Mittagspause, bis 4 oder 5 Uhr durchführen. Wir sehen jeden Tag zwischen 70 und 100 PatientInnen. Die Bandbreite umfasst die ganze Palette an Erkrankungen wie in einer Allgemeinpraxis bei uns, von schweren Notfällen, die wir in das nächste Spital schicken müssen über sehr viele Malariakranke und andere Tropenerkrankungen, viele chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Zuckerkrankheit oder Magengeschwür, viele Kinder, Schwangere, viele Menschen, die durch ihre harte körperliche Arbeit auf den Feldern kaputte Knie, kaputte Hüften oder Rückenschmerzen haben.
Was sind die größten Herausforderungen für Sie bei Ihrer Arbeit vor Ort?
Um nur einige zu nennen:
Es warten immer mehr Menschen als wir an einem Tag sehen können. Daher müssen wir leider priorisieren: Kinder und schwer Erkrankte zuerst, was nicht immer einfach ist.
Unsere diagnostischen Möglichkeiten sind sehr begrenzt, wir müssen uns weitgehend auf unsere Augen, Ohren und Hände verlassen, Labordiagnostik gibt es kaum. Unentbehrlich sind die Malariaschnelltests, die wir selbst durchführen, auch ein mitgebrachtes Ultraschallgerät leistet gute Dienste.
Schwierig ist auch die Behandlung chronischer Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus oder Magengeschwür. Wir können die PatientInnen für einen beschränkten Zeitraum mit den nötigen Medikamenten versorgen, danach ist eine zuverlässige Einnahme oft nicht möglich, da die PatientInnen die meisten Medikamente in den staatlichen PHUs selbst bezahlen müssen und oft die richtigen Medikamente gar nicht vorrätig sind.
Wie ist die Zusammenarbeit im Team?
Die Zusammenarbeit könnte nicht besser sein. Die Mitarbeiter von MoPADA sind sehr engagiert, Fahrer Mohammed Mijiwa, der auch manchmal beim Übersetzen einspringt, Emmanuel Maada Jusu, ein ausgebildeter Gesundheitsarbeiter, der die Tagesorganisation, Kommunikation, Apotheke und Datenerfassung übernimmt, Yambasu Bindi, unser guter Geist in der Unterkunft, der versucht, uns das Leben hier so angenehm wie möglich zu machen und Kadiatu Smith, unsere Köchin, die uns jeden Tag mit schmackhaftem Essen versorgt. Cecilia Abbie Sheriff, die in Bo stationiert ist, leitet das Projekt für MoPADA und steht in fast täglichem Telefonkontakt mit uns. Auch wir zwei Ärzte von German Doctors und Swiss Doctors haben einen guten Draht, der Austausch klappt hervorragend, wir helfen und ergänzen uns, wo wir können. Die Wochenenden nutzen wir für kleine Spaziergänge in Daru, wo wir stationiert sind und in die nähere Umgebung zum Moafluss.
Vielen Dank für das Interview!