2 Wochen in Nairobi – Leben in zwei Welten

Ein Bericht von Melanie Buchacker-Hajduk über ihren Einsatz als Kinderärztin in Nairobi

Jetzt sind erst zwei Wochen meines Einsatzes vorbei und ich habe den Eindruck, ich kann schon unendliche viele Eindrücke in den Koffer der Erinnerungen packen. Eindrücke aus zwei völlig unterschiedlichen Welten.

Nach einem problemlosen Flug von Frankfurt nach Doha und Weiterflug nach Nairobi kam ich mit einer Stunde Verspätung an, beantragte mein Visum, zahlte 40 Euro, wechselte Geld, besorgte mir eine einheimische SIM-Karte, um mit den zu Hause Gebliebenen in Kontakt zu bleiben, und wurde von John, einem sehr freundlichen Fahrer abgeholt. Ich kam gerade rechtzeitig zum Frühstück. Elisa, die Kinderärztin, die ich abgelöst habe und Burghard, Internist, kochten gerade Kaffee und Eier, die es sonntags gibt. Mein mitgebrachter Käse und das selbstgebackene Brot waren natürlich sehr willkommen. Nach dem Frühstück packte ich meine Sachen aus. Ich erhielt natürlich das weit geschmähte Zimmer, ohne Fenster und nur durch einen Vorhang vom Kollegen getrennt. Ehrlich gesagt, ich habe es mir schlimmer vorgestellt. Man muss nachts die Tür auflassen, damit frische Luft ins Zimmer kommt.

Nachmittags fuhr ich mit Burghard und Elisa in die Stadt. Montagmorgen nach dem Frühstück gingen wir um 7:30 Uhr von der Unterkunft in die Ambulanz. Der Weg ist für mich auf der letzten Strecke sehr gewöhnungsbedürftig. Abfall jeglicher Art, stechender Geruch von Urin bei schwüler Luft, tosendem Lärm aus Musikanlagen, Menschengedränge, Autohupen, Geschrei…. und dann lese ich das Schild Mathare Hospital. Die Bänke waren bereits voll mit alten und jungen Patienten.

Schon früh morgens warten Patienten vor der Ambulanz

Schon früh morgens warten Patienten vor der Ambulanz

Vormittags habe ich Elisa noch über die Schulter gesehen: Esther, die Übersetzerin, ruft die Patienten auf, unterhält sich mit einer Mutter. In der Zeit sehen wir uns die Cliniccard an, in der die wichtigsten Daten eingetragen sind – von der Mutter beispielsweise der HIV-Status und vom Kind das Geburtsdatum, Impfungen, die Gabe von Vitamin-A und Entwurmung. Nach der körperlichen Untersuchung erfolgt der Eintag in die Karte nach dem SOAP-Schema = Anamnese, Untersuchung, Diagnose, Therapie. Mit Esther wird die Diagnose und Therapie besprochen, die dann für die Mutter übersetzt. Bei Bedarf werden Labordiagnostik und Folgetermine vereinbart. Das Krankheitsspektrum bei Kindern umfasst normale Erkältungen, Bronchitiden bis hin zu schweren Pneumonien, Unterernährung, Durchfällen, Malaria, Rachitis, Sichelzellanämie, Epilepsie, Impetigo, Scabies, Windelsoor, Unterarmfrakturen, Verbrennungen, AIDS, um nur einige zu nennen.02_ambulanz-3-6-2013_c2a9melanie-buchacker-hajduk

 

Der große Vorteil dieser Ambulanz ist, dass hier Kollegen verschiedener Fachrichtungen arbeiten, so dass ein kollegialer Austausch jeder Zeit möglich ist. Barbara und Ulli, die hier als Langzeitärzte arbeiten – beide fachlich sehr kompetent – kann man jeder Zeit um fachlichen Rat fragen. Zwischen meinem und Ullis Zimmer besteht sogar eine Verbindungstür, so dass der Austausch noch schneller geht. Davon profitiere ich sehr. Ich konnte zum Beispiel schnell fragen, ob das auf der dunklen Haut nun Scabies oder Windelsoor ist. Auch wenn ich mir einigermaßen sicher bin, frage ich lieber nach. Bei unterernährten Zwillingen vermutete ich, dass sie einen sogenannten Rosenkranz aufweisen, eine Veränderung an der Knorpel-Knochen-Grenze der Rippen, die bei Rachitis auftreten kann. Da ich einen solchen Rosenkranz noch nie gesehen habe, frage ich Ulli, der meine Vermutung bestätigte.

Im Untersuchungszimmer der Ambulanz

Im Untersuchungszimmer der Ambulanz

Barbara, die Leiterin des Projektes achtet darauf, dass die neuen Kollegen nicht nur in der Ambulanz tätig sind, sondern auch über den Tellerrand sehen und mitbekommen, was alles im Projekt geleistet wird. So durfte ich am ersten Mittwochnachmittag statt in der Ambulanz tätig zu sein, „Feeding-Rose“ auf ihren Hausbesuchen im Slum begleiten. Die wohl für mich bis jetzt emotional schwierigsten Eindrücke. Ganz positiv war ich überrascht wie sauber es in vielen der kleinen, dunklen Wellblechhütten war. Ganz im Gegensatz zu dem Unrat, der auf den Straßen liegt. Zunächst besuchten wir einen Mann Mitte dreißig. Er hatte vor fünf Jahren eine schwere Meningitis mit Folgeschäden. Er kann nicht allein aufstehen, um sich etwas zu essen machen. Seine Sprache ist sehr verwaschen. Seine Frau geht arbeiten, um Geld zu verdienen. Der Mann hatte seit zwei Tagen nichts mehr zu essen bekommen. Ich gebe ihm mein Brot, das ich mir morgens gemacht hatte. In einer kleinen Dose hatte ich noch einen Rest Studentenfutter. Beides aß er gierig auf. Rose hat eine unendliche Geduld und hörte sich ruhig an, was er zu sagen hatte, holte ihr Handy raus und versuchte zu organisieren, dass er Essen bekommt.

04_Ambulanz 16.7. 2013_©Melanie Buchacker-Hajduk

Unser nächster Besuch führte uns zu einer älteren Dame. Sie hat AIDS und muss sich um die Enkelkinder kümmern. Beide Eltern sind bereits an AIDS verstorben. Sie hatte gerade Bohnen gekocht und wollte unbedingt, dass ich bei ihr esse. Ich esse die Bohnen, esse aber bewusst nur die halbe Portion. Ich habe das Gefühl, Menschen etwas wegzuessen, die selbst nur wenig haben. Als Rose sah, dass ich nur die Hälfte gegessen hatte, aß sie den Rest. Die Gastgeberin war stolz, als der Teller leer war. Unser dritter Besuch war bei einem Mann ebenfalls Mitte Dreißig mit AIDS und Tuberkulose, der – so wie ich mitbekomme, auch wenn ich nur wenig verstehe – eine tiefe Depression hat. Er nimmt seine Medikamente nicht. Fast eine Stunde bemühte sich Rose ihn aufzubauen. Anschließend besuchten wir eine junge Frau, die erst kürzlich erfahren hatte, dass sie AIDS hat. Auch sie war völlig antriebslos. Beide Kinder sind bereits im sogenannten „Feeding-Progamm“. In der spärlichen Wellblechhütte steht hinter alten Möbeln ein fast neues Motorrad. Wie passt das alles zusammen? Wieder bemühte sich Rose lange, der Mutter eine Perspektive aufzuzeigen. Auf unserem Weg zum nächsten Patienten zeigte eine alte Dame Rose ihr offenes Bein und wollte wissen, was sie machen soll. Rose fragte mich und ich schlug vor, dass sie am nächsten Tag zu Ulli in die Ambulanz kommen solle, was sie auch prompt tat. Am Abend war ich froh, dass ich mich nach dem Essen mit den Kollegen über das Tagesgeschehen austauschen konnte.

AIDs ist eine der häufigsten Erkrankungen in Kenia

Letzten Donnerstagmorgen war ich Gast bei der Fortbildung der Angestellten. Es ging um die Vernetzung einzelner medizinischer Organisationen in Kenia. Am Freitagmorgen war von 8:00-9:00 Uhr die Teambesprechung der Mitarbeiter. Hier berichten die Kollegen von ihrer Arbeit, ihren Vorhaben und Problemen.

Und dann kam das Wochenende mit einem völligen Kontrastprogramm. Wir erlebten ein Kenia von einer völlig anderen Seite, mit seiner wunderbaren Landschaft und Tierwelt. Norbert, ein Kollege, der bereits in diesem Projekt das neunte Mal ist, nahm uns mit auf einen Ausflug in den Sweetwaters Park. Luis, ein Österreicher, KFZ-Meister, lebt seit 13 Jahren in Kenia und ist mit Marion, einer Kenianerin befreundet. Er war unser Fahrer an diesem Wochenende. Nach einem wunderbaren Frühstück mit Ei brachen wir auf und besuchten zunächst nachmittags Marions Familie, die uns mit einem umfangreichen Essen verwöhnte. Dafür wurden extra die Möbel im Freien auf einem Hügel aufgestellt.

Kontrastprogramm: Einladung zum Essen unter freiem Himmel

Kontrastprogramm: Einladung zum Essen unter freiem Himmel

Als wir zum Sweetwaters-Park kommen, gebe ich zu, musste ich mich erst an die kenianische Mentalität gewöhnen. Es dauerte ewig bis wir zahlen konnten. Die Rechenmaschine ging nicht und und und…… Neu für mich waren auch die unterschiedlichen Preise für Touristen, Einheimische und Schüler. Nach ruhiger Überlegung komme ich zu dem Schluss, dass es eine gerechte Lösung ist. Wir sehen eine wunderbare Landschaft, Zebras, Giraffen, Elefanten und viele andere Tiere in freier Wildbahn. Abends essen wir noch in einem Lokal mit Forellenzucht und frei herumlaufenden Affen.

Der zweite Ausflug war mindestens genauso beeindruckend. Mit der alten Eisenbahn ging es von Freitag auf Samstag 17 Stunden von Nairobi nach Mombasa. Nach 45 Minuten stoppte der Zug das erste Mal für eine Stunde. Unser Vorteil. Konnten wir doch so ganz in Ruhe unser Abendessen im Speisewagen einnehmen. Auf dem Tisch lag die Speisekarte und stand Plastikgeschirr. Zunächst gab es Suppe. Dann wurden die neuen Plastikteller ganz vornehm mit Serviette gereicht und Gemüse, Reis, Kartoffeln und Fleisch aufgegeben. Als Nachtisch gab es Obstsalat. Den Tee goss die Dame dann so schwungvoll ein, dass die Hälfte auf der Hose des Kollegen landete, der es zum Glück mit Humor ertrug. Nachts hatte ich dann doch des Öfteren den Eindruck, statt im Bett auf dem Trampolin zu liegen. Morgens um 6:00 Uhr ging die Dame vom Speisewagen mit einer Klingel in der Hand durch die Flure. Wir hatten uns für 8:00 Uhr zum Frühstücken angemeldet. Der Kellner meinte dann, wir sollten um 7:00 Uhr frühstücken. Danach könnten wir dann bestimmt Elefanten sehen. Also wurden die Kollegen geweckt und um 7:00 Uhr gefrühstückt. Auf die Elefanten warte ich noch heute. Belohnt wurden wir, als die Sonne aufgegangen war, mit einer wunderschönen Landschaft mit viel Grün, Weite, Lehmhütten und Ackerbau.

Ein Ausflug in den Sweetwaters-Park

Ein Ausflug in den Sweetwaters-Park

Wenn der Zug mal wieder aus für uns undefinierbaren Gründen hielt, kamen gleich viele Kinder, aber auch Erwachsene gelaufen und baten um…. Man kann auch hier nur punktuell helfen. Ich finde das schwer auszuhalten.

In Mombasa waren wir in einem guten Hotel untergebracht. Die Turbulenzen der Zugfahrt steckten uns allen die nächsten Stunden noch in den Knochen, so dass wir kreislaufmäßig etwas instabil waren. Nach einer Pause und Dusche ging es aber auf zu neuen Taten. Wir besichtigten Fort Jesus und die Altstadt, machten einen Einkaufsbummel und gingen gut essen. Am Sonntag machten wir noch einen kleinen Abstecher zum Nordstrand, dort wo die wohlhabenden Touristen Urlaub machen. Am Nachmittag brachte uns der Flieger sicher wieder von Mombasa nach Nairobi zurück, so dass wir am Montag pünktlich mit der Arbeit beginnen konnten.

Nach so vielen Erlebnissen in den ersten zwei Wochen, bin ich gespannt, was die nächsten vier Wochen bringen werden. Und das ist nur eine Kurzfassung dessen, was ich bis jetzt erlebt habe.

Der Einsatz lohnt sich!!!!