Medizin in einer anderen Welt

Dr. Rita Maoz erzählt von ihrem Einsatz für die German Doctors in Chittagong

Das Projekt existiert seit dem Jahr 2000. Es liegt im Stadtteil Patharghata, wo Christen der portugiesisch-stämmigen Oberschicht leben. Der Ursprung geht auf einen kanadischen Priester und Arzt zurück, Father Boudreau, der das Medical Centre gründete und bis 1973 leitete. Durch Gelder der deutschen Entwicklungshilfe und der Ärzte für die Dritte Welt wurde das Projekt wieder zum Leben erweckt und besteht jetzt aus zwei Einheiten: dem Father Boudreau’s Medical Centre (FBMC) und dem Medical Centre for the poorest of the poor (MCPP). Drei unserer Mitarbeiterinnen gehen regelmäßig in die umliegenden Slums und laden die Armen, die dort leben, ins MCPP zur Behandlung ein. Am Mittwoch begleiten die German Doctors die Healthworker in die Slums, um die dortigen Bedingungen selbst zu sehen.

„Ununterbrochenes Klingeln der Fahrradrickshaws, Hupen der kleinen Motortaxis, das laute Brummen des Generators, Gekrächze der Raben, strömender Regen: Ich sitze auf dem kleinen Balkon der Unterkunft der German Doctors im Father Boudreaus Medical Center in Chittagong.

Chittagong, eine Viermillionenstadt, ist die zweitgrößte Stadt Bangladeshs. Heute war mein zweiter Arbeitstag im MCPP (medical center for the poorest of the poor), dem Projekt der Ärzte für die Dritte Welt – German Doctors, in dem die Menschen aus den Slums behandelt werden, diejenigen Menschen, die über keinerlei finanzielle Mittel verfügen, um sich anderswo Hilfe holen zu können. Obwohl Monsunzeit ist und wegen der heftigen Regenfälle nicht jeden Tag sehr viele Patienten kommen, ist die Arbeit hier sehr intensiv.

Heute sah ich eine schwangere junge Frau, 21 Jahre alt, zu Hause hat sie zwei Mädchen, vier weitere Kinder sind bei der Geburt gestorben. Wenn sie jetzt keinen Jungen entbindet, will ihr Mann sich von ihr trennen. Während mein Übersetzer mir dieses Drama beschreibt, wird die Tür unseres kleinen Sprech- und Behandlungszimmers geöffnet und eine Mutter mit einem benommenen Kleinkind wird herein geschoben. Ein Blick auf die Karteikarte des Kindes: Es ist acht Monate alt und wiegt fünf Kilo, eine Tuberkulosetherapie läuft. Das kleine Kind hat einen schweren Asthmaanfall, es atmet kaum noch. Wir legen die Maske des Inhaliergerätes auf Mund und Nase, legen eine Infusion an. Nach Cortisoninjektion öffnet das Kind einmal kurz seine Augen, um dann bei jedem Atemzug um Luft ringend einzuschlafen. Sein Allgemeinzustand ist sehr schlecht, zu Hause hätte man den Babynotarzt alarmieren können, hier bleibt nur die Einweisung in ein Krankenhaus. Ich muss lernen, dass dazu die Genehmigung des Vaters unbedingt notwendig ist. Der große Bruder des Kindes wird nach Hause geschickt, um das Einverständnis zu holen. Nach einer halben Stunde kommt der Onkel des Kindes und teilt uns mit, der Vater sei nicht da. Er bleibt und wacht darüber, dass Kind und Mutter hier bleiben. Das Kind schläft, die Atmung ist etwas leichter, aber immer noch viel schlechter als ich es von den schwersten Asthmaanfällen zu Hause kenne.

Asthma ist hier sehr verbreitet, denn in den Slumhütten wird auf offener Feuerstelle gekocht, dazu kommen die hohe Luftfeuchtigkeit, die Hitze, die Luftverschmutzung, der Schmutz überhaupt, die schlechte Immunlage infolge der mangelnden Hygiene und der Unterernährung…. Nach mehr als einer Stunde angstvollen Wartens erscheint der Vater und gibt sein Einverständnis: Mutter, Kind, Infusion und unsere Sozialarbeiterin werden in eine kleine Taxirickshaw geschoben und das Gefährt setzt sich in Richtung Kinderkrankenhaus in Bewegung. Den Aufenthalt dort und die notwendigen Medikamente bezahlen die German Doctors in Frankfurt.

Der nächste Patient hat Oberbauchbeschwerden. Als ich ihn bitte, sich zur Untersuchung frei zu machen, muss ich schmunzeln: Hier wie im Saarland beginnen Männer damit, ihr Hemd und zwar mit dem untersten Knöpfchen beginnend aufzuknöpfen, was viel länger dauert als bei Frauen, die ihre Blusen einfach hochstreifen. Die Ursache für seine Oberbauchbeschwerden ist wohl in zu häufigem Genuss von Betelblättern zu sehen, die man auch kaut, weil sie das Hungergefühl unterdrücken. Für hungernde Menschen, die einen sehr niedrigen Bodymaßindex haben, stehen uns Foodpackages zur Verfügung. Das sind Reis-Linsen-Gemische, die für eine Person etwa eine Woche reichen. Bis dahin müssen sie sich eine Hilfe besorgt haben.

Die Erlebnisse dieses einen Tages beschäftigen mich. Wie kann man ein solches Leben aushalten? In Bangladesch sollen die glücklichsten Menschen der Welt leben – aber auch die Ärmsten!“