Wieviel Wohnraum braucht ein Mensch? Wieviel Privatsphäre braucht ein Mensch? – Alles relativ. Es gibt Menschen, die nach dem 2. Kind eine neue Wohnung suchen, weil ihre 3-Zimmerwohnung zu „klein“ ist. Ja, sagen die Freunde, natürlich geht das dann gar nicht mehr…viel zu klein…Alles relativ, weil wir es uns leisten können, natürlich auch je nach wirtschaftlichen Möglichkeiten, neuen und bei Bedarf auch größeren Wohnraum zu mieten oder zu kaufen. – Unsere Patienten haben hier keine Wahl. Sie leben unter unvorstellbaren Bedingungen: in den „Bustees“ leben bis zu 10 Personen in einem Raum, der bei uns allenfalls eine Abstellkammer wäre. Viele dieser Kammern sind auf mehreren Stockwerken dicht an dicht nebeneinander. Meist ohne Fenster, ohne Belüftung, ein Vorhang vor der Tür. Der Tisch ist gleichzeitig das Bett. Keine Privatsphäre, keine Sonne, kein wohltuender Lufthauch. Kein Wunder dass wir unglaublich viele Fälle von Rachitis oder Osteomalazie bei Kindern und jungen Frauen sehen: Vitamin-D Mangel, der zu schweren Knochenstörungen und Entkalkungen und Deformitäten führt, alleine heilbar durch tägliche, halbstündige Sonnenexposition. Aber in den muslimisch geprägten Vierteln dürfen die Kinder und jungen Frauen oft nicht aus dem Haus…Wenn die Wohnung ebenerdig ist, gibt es während der Monsunzeit noch das Problem, dass das Wasser aus den Latrinen in die Wohnung geschwemmt wird. Daher ist alles Hab und Gut der Patienten etwas höher gelagert, und auch der Bett-Tisch ist ziemlich hoch gezimmert. Nachts liegen die Menschen und Kinder dicht gedrängt nebeneinander. Insbesondere wenn ein Familienmitglied an TB erkrankt, ist es eigentlich zwangsläufig, dass die anderen auch erkranken. – Und dennoch- die Menschen, die in einem solchen „Loch“ in einem Bustee leben, sind schon glücklicher als diesjenigen Familien, die man täglich bei jeder Fahrt in die Stadt sieht, die auf der Strasse leben. Manche ohne ein Dach über dem Kopf, andere leben meist unter Brücken und an Bahngleisen und am Fluss, in provisorischen Hütten aus Pappe, Plastikplanen, Sperrhölzern. In den illegalen Siedlungen gibt es auch kein fließendes Wasser, auch keine Latrinen. Die Menschen verrichten ihre Notdurft auf offener Strasse. So gibt es auch bei den Ärmsten der Armen noch deutliche Abstufungen…und es sind so unglaublich viele…die meisten kommen aus dem Norden vom Land. Sie kommen in die Stadt in der Hoffnung auf ein Überleben, da die Landwirschaft sie und ihre Familien nicht mehr ernährt…und landen in dieser lauten und schmutzigen Stadt Kolkata. Wie kein anderes Buch beschreibt Dominique Lapierre die Gegebenheiten in Kolkata in seinem Buch „Stadt der Freude“. Wer sich das mal „geben“ will- es ist ein wirklich spannendes Buch über Kalkutta und seine Bewohner!