Tag und Nacht in Buda

Dr. Heinze berichtet wieder von seiner Arbeit im Armenhospital der Ärzte für die Dritte Welt – German Doctors in Buda auf den Philippinen. Buda liegt in der Bergregion zwischen Bukidnon und Davao im Südosten der Insel Mindanao Auf der geteerten und überwiegend gut ausgebauten Strasse (Highway), die Mindanao von Süd nach Nord durchzieht kann unser Hauptprojekt in Cagajan de Oro in etwa sechs Stunden Autofahrt erreicht werden. Die von uns betreuten Menschen leben in kleinen Siedlungen entlang der Straße nach Davao oder in verstreuten Dörfern in den Bergen. Sie haben dann oft sehr weite und schwierige Anlaufwege nach Buda. Viele von ihnen gehören zu den der wenig respektierten indigenen Bevälkerung der Insel, die eigene Sprachen sprechen, eine eigene Kultur und eigene Vertrauenspersonen („Datos“ = Älteste) haben.  Durch das staatliche Gesundheitssystem werden sie kaum erreicht, umso wichtiger ist die Arbeit der Ärzte für die Dritte Welt – German Doctors.

„Die Sonne scheint, der Frühstücksteller ist abgewaschen. Alles dabei? Brille, Kuli, Rechner, Stethoskop, Wasserflasche? Na dann los.

Punkt acht ist Visite. In den ersten beiden Zimmern freuen sich frisch entbundene Mütter an ihren Söhnen und Töchtern. Ein Baby ist ganz gelb, das muss an das Fenster, da es dort mehr UV-Licht kriegt.[1] Und Laborwerte hätte ich auch gern. Die beiden Schwestern, die Tyhpus hatten, sind nach fast zwei Wochen hohem Fieber endlich fieberfrei und können nach Hause. Beiden hat erst Ciprofloxazin geholfen, das Antibiotikum der dritten Linie. Das kann noch was werden mit den Resistenzen. Der Zwölfjährigen mit der akuten Herzinsuffizienz geht es auch besser; das Lungenödem scheint kein Problem mehr zu sein. Das Bett daneben ist leer: Da lag gestern Abend noch der stöhnende drei Monate alte Junge – er ist jetzt im SPMC (Southern Philippine Medical Center) in Davao mit Verdacht auf Encephalopathie, möglicherweise wegen eines Stoffwechseldefekts. Im Tuberkulose-Ward lebt seit gestern eine Mutter unter Tuberkulosetherapie mit zweien ihrer vier Kinder. Deren Tuberkulose-Hauttests waren positiv, sie müssen also nach Valencia zum Röntgen gefahren werden. Dies wird aber heute nicht möglich sein, denn der kleine Junge ist außerdem schwer unterernährt und hat eine Elektrolytentgleisung mit Kalium von 1,5. Damit lassen wir ihn nicht reisen, er soll lieber Bananen essen und Speziallösung trinken. Zum Glück hat er wenigstens keinen Infekt.

Kleiner Patient

9:30 Uhr. Heute haben wir nur eine Entlassung, der Papierkram ist also rasch erledigt. Bei der letzten Unterschrift steht Sir Raymond neben mir: “Doc, we have a child in the ER”. Im Emergency Room atmet ein Zweijähriger um sein Leben. Seit gestern Abend geht das so, sagt die Mutter. Blass, erschöpft, Augen verdreht, maximaler Kraftaufwand für minimale Sauerstoffversorgung. Es fließt kaum Luft in den Lungen, der Junge hat einen Status asthmaticus. Untersuchen, anordnen, Intensivbehandlung und -Überwachung. Alles aufschreiben. Zum OPD (Out Patient Department, Ambulanz) geht es einmal diagonal durch den inzwischen vollen Wartesaal. Eine Nurse beendet gerade ihre Ansprache über Möglichkeiten der Geburtenkontrolle. Höflicher Applaus der Wartenden. In der Ambulanz arbeite ich mit Rufino zusammen. Rufino ist Manobo und entstammt einer angesehenen Familie. Er ist nicht einfach ein Translator, sondern ein Interpreter: Er spricht mehrere hiesige Dialekte und ist offensichtlich eine Autorität. Er nimmt sich Zeit für Erklärungen und kennt alle weiterführenden Stellen innerhalb und außerhalb von “Ärzte für die Dritte Welt”.

Morgens kommen die Patienten meistens aus der Nähe, am Nachmittag treffen die mit den langen Fußwegen ein.

Und hier die Top-5-Liste der häufigsten Gründe, wieso sich die Patienten in der Ambulanz vorstellen:

1.) Husten und Fieber

2.) Husten, Erkältung und Fieber
3.) Diarrhö
4.) Diarrhö und Erbrechen
5.) Husten, Erkältung, Diarrhö, Erbrechen und Fieber

Wie zuhause haben die meisten Kinder eine Erkrankung der Atemwege oder eine Gastroenteritis. Wie zuhause kann man sie gewöhnlich gut ambulant behandeln. Antibiotika setze ich hier häufiger ein als in Hamburg, aber schon nicht mehr so oft wie am Anfang. Paracetamol, Lagundi (lokaler Kräuterextrakt) gibt es für die Kinder, die husten. Und zwischendurch immer wieder ein Kind, das schwere Probleme hat. Einige kommen mit schwerer Unterernährung, ein Säugling mit Atemnot, die Haut anderer Kinder ist nur noch mit Eiterbeuteln bedeckt, wiederum ein anderes Kleinkind hat Krampfanfällen – woran liegt das?

Zur vollen Stunde ärztliche Patrouille durch den Wartesaal: Auf welchem Schoß sitzt das allerkränkste Kind? Muss jemand vor den anderen zum Doktor? Heute ist alles im normalen Bereich, niemand im Wartesaal ist schwerkrank.

13 Uhr. Die Laborwerte sind da. Das gelbe Baby hat einen unkomplizierten Neugeborenenikterus, mehr als normal, aber es ist voraussichtlich nicht therapiebedüftig. Es trinkt auch gut und hat sonst keine Probleme. Morgen Laborkontrolle.

13:30 Uhr. Treffen mit dem regionalen Leiter des “Action contre la faim”-Programms, Dr. Fudalan und zwei seiner Nutritionists, eine aus Frankreich und eine Filipina. Einige Detailfragen zur Durchführung werden besprochen und ein Refresherkurs wird vereinbart.

14:15 Uhr. Weitere ambulante Patienten kommen, ein oder zwei werden aufgenommen. Manche Patienten können in der Dunkelheit nicht mehr nach Hause, sie bekommen einen Gate Pass und in der “Watcher’s area” eine Schlafgelegenheit und etwas zu essen.

16 Uhr. Nicht besser. Jeremiah zehrt seine Reserven auf und wir können nicht mehr leisten als bei Fidel, dem Fahrer, anzurufen. Ich schreibe einen Verlegungsbericht und Jeremiah fährt auf Mutters Arm, mit Sauerstoff und zwei Infusionen nach Davao. Atmen, atmen, atmen. SMS an Sr. Marinella, die in Davao für unsere Patienten zuständig ist. Sie wird sich im Krankenhaus um den “German Doctors”-Patienten kümmern.

17 Uhr. Abendrunde. Heute wurde nur ein Patient entlassen, dafür wurden mehrere aufgenommen, darunter zwei Säuglinge mit Bronchiolitis, die hat hier gerade Saison. Ein Achtjähriger mit typhusverdächtiger Anamnese, der seit Aufnahme aber schon fast gesundet ist und hoffentlich morgen wieder gehen kann. Zwei Erwachsene: Einer hat ziemlich sicher Typhus, ein anderer bekommt eine Infusion bei schwerem Magen-Darm-Infekt. Alles recht gut im Griff im Haupthaus. Im Tuberkulosetrakt liegt der kleine unterernährte Junge mit der Elektrolytentgleisung mit hohem Fieber, flach atmend, blass und schlaff im Bett. Wir untersuchen, geben eine Medizin gegen Fieber, antibiotische Doppelbehandlung, Infusion mit Kaliumzusatz, Intensivüberwachung! Das letzte Kind in dieser Situation haben wir vor drei Wochen vergeblich reanimiert.

18:30 Uhr. Die Infusion läuft, das Fieber ist wieder gefallen, der Kreislauf ist stabil.

Dietmar Schug, der Philippinen-Koordinator der Ärzte für die Dritte Welt, kommt mit seinem SUV aus Cagayan de Oro. Rowen und Gerry heben eine neue 150er Kawasaki aus dem Anhänger. Die bekommt Sir Randy, der Tuberkulose-Chef, für seine demnächst beginnenden Hausbesuche. Außerdem bringt Dietmar einen Kopierer/Scanner mit, der hat hier dringend gefehlt. Es gibt nämlich kein Festnetz in Buda und deshalb auch keine Möglichkeit zum Faxen. Jetzt können wir Befunde einscannen und per Email verschicken.

19 Uhr. Normalerweise Abendbrot. Die Küche versorgt uns zweimal täglich mit warmen Mahlzeiten. Es gibt Fleisch oder Fisch oder Geflügel mit den unterschiedlichsten lokalen Gemüsen, dazu Reis. Fast alle Gerichte werden bereichert durch Heinz Tomato Ketchup. Zum Nachtisch gibt es meistens Mango, sonst Papaya oder Ananas. Wir können nicht klagen. Meine Gewichtsabnahme (bisher geschätzt 4 kg) kommt nur vom Nasch- und Zwischendurchverzicht. Sieh an.

Heute statt Abendbrot: Geburtstagsfeier bei Ma’am Orly, unserer Headnurse. Sehr viel Familie ist da, und dazu kommen und gehen alle möglichen anderen Gäste, die meisten vom Hospital. Es gibt 2 ganze Spanferkel und jede Menge Salate, Soßen und sonstige Zutaten, und für die Germans sogar Bier! Darel, Dietmar und mir schmeckt’s. Ich finde die “Valenciana” am Besten, eine Art Risotto.

22 Uhr. Mit Dietmar auf ein letztes Bier am Esstisch im Doctor’s House. Irmela, die gynäkologische Kollegin, ist mit dabei, will gerade ihr Bierglas heben, da klingelt es: Eine Gebärende ist gekommen.

23 Uhr. Ein paar Emails, Zähneputzen, schlafen gehen. Bisher hatte ich noch keinen Bereitschaftsdienst, bald geht’s damit los.

Aber für heute: Gute Nacht. Máyon Gabí-i.“


[1] Anmerkung. Das Baby hat vermutlich Gelbsucht. Diese wird durch eine erhöhte Konzentration von Bilirubin, ein gelbes Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin, hervorgerufen. Durch UV-Licht wird das Bilirubin schneller abgebaut.