Warum haben Sie als Vorstände und das Präsidium sich zur Nothilfe für die Ukraine entschieden?
Dr. Harald Kischlat: „Da wir uns - wie wahrscheinlich die meisten Menschen in Deutschland - bis zuletzt nicht vorstellen konnten, dass es tatsächlich zum Angriff Russlands auf die Ukraine kommt, stellte sich uns diese Frage dann tatsächlich Ende Februar eher unvorbereitet. Bis dahin hatten wir keine Projektaktivitäten in Osteuropa und auch keine direkten Kontakte zu Organisationen in der Ukraine oder in den Nachbarländern. Trotzdem haben wir über andere Netzwerke und Beziehungen ziemlich bald versucht, Kontakte herzustellen. Dabei wurde uns rasch klar, dass es einen immensen Unterstützungsbedarf gibt und geben wird. Zugleich lernten wir kompetente Partner kennen, die Maßnahmen umsetzen können, denen es aber an Geld mangelt. Spenden für die Ukraine-Hilfe hatten wir erhalten, und es zeigte sich zudem, dass wir als assoziiertes Mitglied des Bündnis Entwicklung Hilft auch einen Teil der dort eingegangenen Spenden würden verwenden können. Angesichts dieser Lage und vor dem Hintergrund unser in den letzten Jahren erweiterten Aktivitäten in der Flüchtlingshilfe in Griechenland und auf dem Mittelmeer war klar, dass wir uns in dieser Situation engagieren wollen.“
In den Medien liest man seit Wochen von den befürchteten gravierenden Auswirkungen des Krieges. Was erwarten Sie, was in den kommenden Monaten auf die Organisation und die Partner in Ländern des Globalen Südens zukommen wird?
Dr. Christine Winkelmann: „Der Krieg gegen die Ukraine hat dramatische Folgen für die Ernährungssituation in unseren Partnerländern. Viele Länder sind von Weizenimporten aus der Ukraine abhängig. Doch derzeit kann die Ukraine noch vorhandenen Weizen nicht mehr auf dem Seeweg außer Landes bringen – und es ist jetzt schon klar, dass die Ernte in diesem Jahr kriegsbedingt sehr viel geringer ausfallen wird. Von dieser Entwicklung sind alle unsere Partnerländer betroffen und das ist besonders dramatisch, da schon unter COVID der Hunger wieder zugenommen hat. In vielen Ländern haben wir Nothilfe geleistet und Ernährungsprogramme hochgefahren, so z. B. auch in Kenia. Doch wird diese Krise einen noch viel größeren Druck auf die Ernährungssysteme machen. Besonders betroffen werden wieder die Schwächsten der Gesellschaft sein. Besonders verstörend dabei ist, dass diese sich abzeichnende Hungersnot absolut menschengemacht und daher vermeidbar gewesen wäre.“
Was ist heute schon spürbar?
Dr. Christine Winkelmann: „In allen Ländern, in denen wir aktiv sind, berichten unsere Partner über massive Preissteigerungen und teilweise Verknappung von Waren. In Sierra Leone sind z. B. Diesel und Benzin Mangelware und die Fahrer unserer Projekte müssen lange an Tankstellen anstehen. Oft ist Treibstoff nur noch auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Auch die Preise von Grundnahrungsmitteln steigen spürbar an. Das trifft mit voller Wucht die Menschen, die ohnehin schon nicht genug zu essen haben.“
Sie sind sehr intensiv in die Koordination der Nothilfe miteinbezogen. Was waren Gespräche oder Situationen, die Sie besonders bewegt haben?
Dr. Christine Winkelmann: „Sehr bewegend war ein Gespräch mit dem Leiter einer NGO, die noch im Osten in der Ukraine tätig ist. Er selbst hat sich noch in den umkämpften Gebieten aufgehalten und Hilfe für viele Menschen organisiert – insbesondere ging es um die Verteilung von Trinkwasser in den zerstörten Städten. Uns hat tief beeindruckt, wie professionell und sachlich er war, obwohl er jeden Tag sein Leben für die Arbeit riskiert hat. Nach jedem Telefonat bleiben ein beklommenes Gefühl und Angst um ihn.“
Medikamente, Verpflegung, Evakuierung: Unsere Ukraine-Hilfe
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert nun schon über 13 Wochen an. Die German Doctors leisten weiterhin Nothilfe in der Ukraine und den Nachbarländern. Wir finanzieren, beschaffen und organisieren den Transport von dringend benötigten Medikamenten, Verbandsmaterialien und medizinischem Equipment in ukrainische Krankenhäuser. Die gelieferten Güter belaufen sich aktuell auf eine Summe von 528.000 Euro. Außerdem unterstützen wir Partnerorganisationen finanziell und in der Logistik, die sich um die geflüchteten Menschen kümmern. Die Flüchtlinge erhalten dadurch Verpflegung, ein warmes Bett Gegenstände des täglichen Bedarfs und medizinische oder psychische Unterstützung, sofern benötigt. Außerdem finanzierten wir den Kauf von Bussen zur Evakuierung von Flüchtlingen. In Summe haben wir bislang mehr als 650.000 Euro an Nothilfegeldern umgesetzt.