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Neues aus den Projekten

„Situation der minderjährigen Geflüchteten ist sehr schwierig“

Griechenland Flüchtlingshilfe

Mitte Juli waren Dr. Christine Winkelmann, Vorständin des German Doctors e.V., und Dr. Elisabeth Kauder, Präsident des Vereins, in Thessaloniki bei unserem Partner ARSIS zum Besuch unseres Griechenland-Projekts. Ziel der Reise war mit dem Partner den Projektfortschritt zu besprechen, Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren sowie die Vernetzung vor Ort zu fördern. Außerdem sollte der Besuch auch die Gelegenheit geben, weitere Bedarfe zu ermitteln und zu verstehen, um das Projekt fachlich gut begleiten zu können.

Sie waren in Thessaloniki zu Besuch. Waren Sie auch in einem der Flüchtlingslager?

Christine Winkelmann: „Ja, in mehreren. An einem Tag habe ich unsere beiden Kurzzeitärzte zu einer Flüchtlingsunterkunft für männliche Jugendliche am Stadtrand von Thessaloniki begleitet. Dort wurden die Jugendlichen geimpft – viele von ihnen haben viel Schreckliches erlebt auf ihrer Flucht, aber die Impfung machte ihnen manchmal trotzdem Angst oder Unbehagen. Die Wohnsituation ist sehr beengt – mehrere Jugendliche teilen sich ein Zimmer. Das Essen wird geliefert und verpackt verteilt, eine winzige Küche ermöglicht immerhin, dass man nachwürzen oder aufwärmen kann.

Dann haben wir noch ein anderes Flüchtlingslager besucht, in dem die German Doctors bisher einmal in der Woche helfen. Die Situation ist sehr bedrückend, da inzwischen viele Menschen in dem Lager leben, deren Asyl-Verfahren beendet sind. Sie sind somit anerkannte Flüchtlinge und dürfen in Griechenland bleiben. Leider ist das Hilfesystem für diese Flüchtlinge so schwach, dass sie trotzdem im Lager verbleiben, auf sich gestellt und von der Hilfe der NGOs abhängig sind. Einige von ihnen versuchen weiter nach Deutschland zu reisen und hier erneut Asyl zu beantragen.“

Was haben Sie sonst noch von der Arbeit von ARSIS gesehen?

Christine Winkelmann: „Wir haben mehr über den Streetwork-Ansatz von ARSIS erfahren: Die Teams laufen durch die Straßen und kümmern sich um obdachlose Flüchtlinge, oft Kinder und Jugendliche.  Zum Teil werden sie auch von unseren Ärztinnen und Ärzten begleitet. Wir haben geplant, wie die Arbeit für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Zukunft aussehen kann. Es hat in Griechenland ja zum Glück eine Änderung im Verfahren gegeben – noch im letzten Jahr waren Jugendliche in sogenannte Schutzhaft genommen worden und wurden über Wochen oder sogar Monate ins Gefängnis gesteckt. Wichtig für uns ist, dass es jetzt für minderjährige Flüchtlinge andere Strukturen geben wird und dass ARSIS als von der Regierung anerkannter Akteur bei der Versorgung helfen wird.“

Wie ist die Situation der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten inzwischen – soweit Sie das beurteilen können?

Christine Winkelmann: „Die Situation ist weiterhin sehr schwierig. ARSIS versorgt minderjährige Geflüchtete in Thessaloniki und an anderen Standorten. Die Plätze für eine angemessene Versorgung reichen aber bei weitem nicht aus. Viele Jugendliche leben unter sehr schwierigen Bedingungen auf der Straße. Wie schon gesagt, ist die schreckliche Praxis der Schutzhaft beendet. Die alternative Unterbringung ist aber noch immer nicht ganz geklärt. ARSIS befürchtet, dass die Jugendlichen nur einen Schlafplatz und Essen bekommen, es aber an umfassender sozialer Unterstützung weiterhin fehlen wird.

Außerdem berichten alle NGOs, dass es weiterhin zu sogenannten Pushbacks kommt. Davon sind auch Jugendliche betroffen. Durch die Presse gingen ja die Bilder, die zeigten, dass Boote aus den griechischen Gewässern zurückgedrängt wurden. Es kommt aber wohl auch zu regelrechtem Kidnapping und zum gewaltsamen Zurückbringen über die Grenze in die Türkei.“

Sandspiel

Gab es Begegnungen mit Geflüchteten, die Sie besonders bewegt haben und Ihnen in Erinnerung geblieben sind?

Christine Winkelmann: „Ja, es hat mich sehr berührt, die Jugendlichen beim Impfen zu erleben und dabei ihre Verletzlichkeit wahrzunehmen. Und gleichzeitig ihre Situation so deutlich vor Augen zu haben –  sie befinden sich auf einer ziemlich trostlosen Durchreisestation mit völlig ungewissem Ausgang. Vielleicht werden sie abgeschoben, vielleicht anerkannt, sind aber dann mehr oder weniger chancenlos in Griechenland.“

Gibt es über die bereits laufende Unterstützung der German Doctors Bereiche, die Sie identifiziert haben, in denen noch mehr Hilfe benötigt wird?

Christine Winkelmann: „Ja, unbedingt: Es gibt kaum zahnmedizinische Versorgungsmöglichkeiten – wir möchten sehr gerne im Herbst eine entsprechende Einheit gemeinsam mit ARSIS aufbauen. Alle NGOs, mit denen wir gesprochen haben, bestätigen diesen Bedarf. Außerdem fehlt es an Versorgung mit Kontrazeptiva, zurzeit stehen nur Kondome zur Verfügung. Gerade für die geflüchteten Frauen, die z. T. ja auch noch auf der Durchreise sind, wären längerfristig wirkende Kontrazeptiva sinnvoll. Und das Thema der psychischen Gesundheit bleibt ein sehr dringendes. Die Flucht und die Perspektivlosigkeit führen zu hoher psychischer Belastung. Wir sind mit ARSIS im Gespräch, was wir hier noch gemeinsam tun können.“