Neues aus den Projekten
Ärztestreik in Kenia
Der seit über 60 Tagen andauernde Streik der öffentlichen Krankenhäuser sowie die aktuelle Wasserknappheit in Kenia bescher(t)en unserer neuen Langzeitärztin Dr. Yvonne Flammer einen turbulenten Start. Doch sie bleibt gelassen und guter Dinge!
Die Türe öffnet sich einen Spalt breit, und schon zeigt sich ein nächstes, eher scheu blickendes Gesicht im Türspalt und wird nach der herzlichen Begrüßung auf Kishwahili ‚Karibu‘, als ganze Gestalt sichtbar. Häufig sprechen meine Übersetzerin Fetika und ich die Begrüßungsworte gleichzeitig. Dann aber kommen wir nach wenigen Begrüßungsformeln rasch zur Sache und lassen den Patienten seine Symptome aufzählen. Einige Patienten fühlen sich aufgefordert, blumig und ausführlich ihre Krankengeschichte der letzten Jahre aufzuzählen, während andere eher schüchtern bleiben und nur mit leiser Stimme ihre Anliegen vortragen. In solchen Fällen wenden sie sich meist von mir ab und Fetika zu.
An meinem ersten Arbeitstag als neue Langzeitärztin im Baraka Health Center, mitten in Nairobis Mathare Valley-Slum, hatte ich um Punkt 8 Uhr mein Konsultationszimmer mit der Nummer drei bezogen. Ausgestattet ist das Zimmer mit dem Nötigsten und mit einem Prunkstück, dem Ultraschallgerät, das mein wichtigstes Untersuchungsgerät sein wird. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde mit Fetika ging es gleich los.
Schon an diesem ersten Tag konnte ich viele Unterschiede zu meinem früheren Arbeitsort in einem ländlichen Distrikthospital in Tansania feststellen. Im Gegensatz dazu ist im Baraka Health Center ein gut funktionierendes System erkennbar: Der Patientenfluss ist geordnet, die Türen sind verschließbar, die Mitarbeiter sind diskret und einfühlsam und Übersetzer sind anwesend. In aller Ruhe ordnet Fetika ‚meine‘ wartenden Patientinnen und Patienten nach Nummern und Priorität, weist auch einen zu früh eintretenden Patienten auf die herrschende Disziplin hin, lässt aber jedem genügend Zeit, damit er sein Anliegen vorbringen kann. Immer wieder lachen wir herzhaft mit den Patienten. Manchmal gibt es schon sehr originelle Beschreibungen der Beschwerden. Ein Patient meinte zum Beispiel, heute fühle sich sein Rücken an, als würde er atmen. Darunter kann ich mir beim besten Willen kein Krankheitsbild vorstellen!
Aus meiner Übersetzerin Fetika spricht viel Erfahrung, gute Menschenkenntnisse und Empathie. Manchmal weist sie einen Patienten darauf hin, Symptome zu schildern und keine Krankheiten, oder aber sie hinterfragt Symptome, die psychosomatischer Natur sein könnten, um den Grund dahinter zu erfahren. Das ist sehr hilfreich und von mir durchaus gewollt! Sie agiert mehr wie eine Assistentin, rechte Hand und Gedächtnisstütze als ‚nur‘ eine reine Übersetzerin. Eine solche Person ist Gold wert und erleichtert meinen Arbeitsalltag ungemein. Dies ist für mich umso wohltuender, da ich bei meiner vorherigen Arbeitsstelle eine solche Professionalität und Empathie geradezu schmerzlich vermisste.
Es ist eine Herausforderung, den Alltag hier in Kenia zu meistern. Aber es macht auch Spaß! Jeden Tag lerne ich Neues kennen: ein neues Gesicht, einen neuen Namen, eine neue Regel, einen neuen Ablauf oder von mir noch nie gesehene Krankheitsbilder!
Gerade bei lokalen Problemen, die schon vor meiner Ankunft bestanden, bekomme ich sehr viel Hilfe von meinem einheimischen Management-Team. Als Beispiel möchte ich hier von der aktuellen Wasserknappheit berichten. Diese Verknappung ist in Nairobi selbst verschuldet und leider auch ein jährlich wiederkehrendes Problem, welches sich während der Trockenzeit zuspitzt. Das Wasser wird aktuell von der Stadt rationiert. Unser Ärztehaus im Balozi Estate, wo ich und die deutschen Kurzzeitärzte untergebracht sind, wird nur noch zwei Mal pro Woche mit Wasser beliefert und dann jeweils unter solch tiefem Druck, dass wir eine neue Wasserpumpe kaufen mussten, damit der Tank gefüllt werden kann.
Ungerecht und seltsam ist es dann, wenn ich nach Feierabend abwäge, ob eine Dusche möglich und vertretbar ist, während der Nachbar sein Auto täglich wäscht oder seinen Vorgarten bewässert. Die Rationierung erfolgt sehr ungleich! Von unseren kenianischen Mitarbeitern weiß ich, dass in ihren Wohnvierteln die Rationierung so weit geht, dass ihnen blockweise eine zentrale Wasserquelle zugewiesen wird, an der sie ihr Wasser selbst holen müssen. Uns im Health Center stehen unser Buchhalter Joseph und unser Klempner Peter beiseite und verhelfen uns mit Rat und Tat immer wieder zu Wasser. Ein Ende der Wasserknappheit ist nicht absehbar und die ersten größeren Regenschauer werden erst im März bzw. April erwartet.
Ein anderes Beispiel ist der aktuelle Ärztestreik in Nairobi. Durch diesen bereits seit mehr als 60 Tage andauernden Ausstand fällt unser wichtigstes Überweisungskrankenhaus, das Kenyatta National Hospital, weg. Zuvor haben wir praktisch jeden Patienten, der einen stationären Aufenthalt benötigte, dem Kenyatta National Hospital überwiesen. Es ist unser primäres Überweisungskrankenhaus und entspricht in etwa einem Universitätskrankenhaus bei uns. Somit hat es alle Disziplinen und Spezialisten. Für die Kinder haben wir noch eine andere Überweisungsmöglichkeit. Trotzdem suchen wir immer wieder Betten für Kinder, die beispielsweise eine schwere Anämie haben und Bluttransfusionen brauchen, da es in dem kleinen Krankenhaus, in das wir zurzeit überweisen können, keine Blutbank gibt. Daher war das Kenyatta immer unsere erste Wahl.
Was erwachsene Patienten anbelangt, weisen wir nur diejenigen weiter, die weiterführende Untersuchungen brauchen wie zum Beispiel größere Operationen oder Untersuchungen wie eine Endoskopie. Aber auch wer den Rat eines Kardiologen oder eines HNO-Spezialisten benötigt, muss überwiesen werden. Natürlich betrifft dies auch alle Patienten, die eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung brauchen oder eine intensivere Therapie als wir von 8 bis 17 Uhr in unserer Ambulanz anbieten können.
Alle diese Patienten müssen wir nun immer im Team besprechen, um zu überlegen, welches Krankenhaus geeignet und verfügbar für den Betreffenden sein könnte. Wir weichen auf Missions- und Privatkrankenhäuser aus. Letztere nur, wenn die Patienten es sich leisten können, was sehr selten der Fall ist. Es ist für uns deutsche Ärzte sehr belastend nicht zu wissen, wo unsere Patienten gut weiterbetreut werden.
Die Situation führt dazu, dass wir immer wieder improvisieren müssen. Einige Patienten behandeln wir semi-ambulant, also von 8 bis 17 Uhr, wie beispielweise eine schwangere Patientin mit Malaria oder ein Teenager-Mädchen mit erstdiagnostiziertem Diabetes. Beides Situationen in denen eine stationäre Betreuung angebracht wäre. Durch den Wegfall der öffentlichen Krankenhäuser haben wir zudem mehr Patienten als normalerweise. Denn einige bekommen bei den öffentlichen Institutionen keine Medikamente mehr verschrieben, andere bräuchten eine Überweisung oder die Anordnung eines Röntgenbildes, was bisher nur eine ärztliche Leistung ist. In solchen Fällen versuchen wir so gut es geht einzuspringen und zu helfen, ohne unseren limitierten Rahmen zu sprengen. Der tägliche Kampf, die wirklich schwer erkrankten Patienten in einem Krankenhaus unterzubringen, ist zeitintensiv und frustrierend. Immer wieder hören wir von unserem Ambulanzfahrer, dass die Patienten auch in den Missionskrankenhäusern abgewiesen werden. Es müssen dann weite Strecken zurückgelegt werden, in der Hoffnung, doch noch ein Krankenhausbett aufzutreiben.
Letzte Woche musste die Gynäkologin trotz dieser Situation fünf Frauen ins Kenyatta überweisen, davon wurde aber keine einzige behandelt! Die Frauen sind dann weitergezogen, bzw. wieder nach Hause gegangen. Und dann kommen sie in ihrer Hilflosigkeit wieder zu uns. Das ist sehr frustrierend und schwierig auf die Dauer auszuhalten.
Wir erwarten sehnlichst ein baldiges Ende des Streiks, obwohl dies leider nicht in Sicht ist. Ganz im Gegenteil: Den streikenden Ärzten haben sich inzwischen auch die Universitätsprofessoren angeschlossen, die auch für mehr Lohn, eine bessere Rentenversicherung und bessere Weiterbildungsmöglichkeiten kämpfen.
Es wird also für unsere Arbeit hier nicht einfacher werden in den nächsten Wochen. Aber wir werden weiterhin nicht nachlassen, uns für die Patienten aufs Bestmögliche einzusetzen!
Ihre Yvonne Flammer