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Neues aus den Projekten

Projektmanager Brayan Anthony über die aktuelle Lage in Chittagong

Chittagong Corona Hilfe German Doctors

Anfang Juli befragten wir Brayan Anthony, Manager in Chittagong, wie er die Lage in Bezug auf das Corona-Virus vor Ort und im Land beurteilt, und wie er sich angesichts der immensen Herausforderungen fühlt. Es sind bewegende Worte, mit denen er die Situation aus seiner Perspektive schildert. Ehrlich, direkt und sehr persönlich. Ihm und unserem Team vor Ort gilt unser größter Respekt und unser Dank, weiterhin für die Patienten da zu sein – so gut es in dieser schwierigen Zeit geht.

Wie beurteilen Sie die Lage in Bezug auf Corona in Bangladesch und in Chittagong?

Ende Juni waren rund 150.000 Menschen laut offizieller Statistik mit dem Corona-Virus infiziert (aktuell sind es laut WHO 202.000 seit Beginn des Corona-Ausbruchs). Die meisten davon leben in der Hauptstadt Dhaka und der benachbarten Stadt in Narayanganj. In der Metropolregion sind auch die meisten Behandlungszentren. In Chittagong (zweitgrößte Stadt des Landes) ist die Sterberate um ein Drittel höher als im Landesdurchschnitt. Hier in Chittagong gibt es weniger Hilfen. Die Regierung bezieht keine privaten Stellen mit in die Eindämmung und Bekämpfung von Covid-19 ein.

Wir sehen, dass täglich Hunderte von Menschen versuchen, sich testen zu lassen, aber es zu wenige Teststellen und Tests gibt. Private Ärzte und private Kliniken, also die Alternativen zum staatlichen Gesundheitssektor, sind geschlossen. Trotz Versprechungen über spezielle Versicherungen und Extravergütungen arbeiten zwei Drittel der Beschäftigten im Gesundheitssektor nicht. Und die Corona-Behandlungszentren kümmern sich nicht gut. Die Menschen verlassen die Isolationszentren und sterben. Da nicht genug getestet wird, gibt es eine große Anzahl von Menschen, die nicht wissen, ob sie sich infiziert haben. Ohne ein aktuelles negatives Testergebnis erhält man keinen Zutritt in die Krankenhäuser, z.B. bei anderen, auch akuten Erkrankungen oder für eine Geburt. Viele Kinder sind auf dem Weg ins Krankenhaus geboren worden, manche auch vor den Toren und manchmal haben Mutter und/oder Kind das nicht überlebt.

Wie läuft die Arbeit in der Ambulanz der German Doctors?

Wir arbeiten hier wieder seit Ende Juni. Immer vormittags mit einem einheimischen Arzt, den wir zum Glück dafür gewinnen konnten. Ungefähr 30 Patienten werden täglich behandelt, viele weitere müssen wir wegschicken. Wir versuchen unsere strengen Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten - das ist aber sehr schwierig. Wir haben eine Eintrittskontrolle um zu verhindern, dass sich Covid-19-positive Menschen unter den Patientinnen und Patienten befinden. Draußen vor dem Tor waschen sich die Patienten die Hände und werden desinfiziert. Dann wird Fieber gemessen und sie müssen Fragen zu ihrem Gesundheitszustand beantworten. Nur wenn kein Verdacht auf Covid-19 besteht, werden die Patienten eingelassen. Trotz der Sicherheitsvorkehrungen waren schon fünf positive Fälle bei uns, wie sich später herausstellte. Wir tun alles, um unsere Angestellten zu schützen. Die Schutzausrüstung, die man hier kaufen kann, ist leider von schlechter Qualität und total überteuert. Das macht es schwieriger, sich zu schützen.

Wie geht es dem medizinischen Personal in dieser schwierigen Situation?

Das medizinische Personal steht in vorderster Front und ist daher extrem gefährdet. Es sind schon viele Ärztinnen und Ärzte gestorben. Mediziner, die bereits im Ruhestand sind, verstecken sich, um nicht zwangsrekrutiert zu werden. Privatpraxen sind geschlossen.

Trifft die Corona-Pandemie Menschen unterschiedlicher Schichten gleichermaßen?

Die Menschen sind zurzeit auf die Möglichkeiten ihres Nationalstaates beschränkt. Reiche Bangladescher können sich nicht, wie sonst üblich, in Singapur, Bangkok oder Indien behandeln lassen, sondern sind auf die lokalen Gesundheitseinrichtungen angewiesen. So trifft Covid-19 alle Schichten – ob reich oder arm.

Was hat unser Team vor Ort die letzten Monate unternommen, um den Menschen zu helfen?

Wir hatten eine Ausgangsbeschränkung und ein Versammlungsverbot. Daher musste das Team viel von zuhause arbeiten (Anm. der Red.: Zurzeit gibt es einen Lockdown von 22 bis 5 Uhr. Versammlungen mit Ausnahme von religiösen Veranstaltungen sind weiterhin verboten). Wir haben Listen erstellt, welche Menschen unsere Nothilfe erhalten sollen. Dafür wurde mit den Vorstehern der Slumgebiete gesprochen und Menschen wurden ausgewählt, die wir aus unseren normalen Arbeit kennen und von denen wir wissen, dass sie bedürftig sind. 800 Familien wurden ausgewählt und werden nun finanziell unterstützt. Außerdem erhalten 50 Familien, deren Kinder in unserem Ernährungsprogramm sind, regelmäßig Lebensmittelpakete. In den vergangenen Monaten haben sich drei Teammitglieder mit dem Corona-Virus infiziert. Ein beweisendes Testergebnis gab es nicht.

Wie waren die Reaktionen der Menschen auf die erhaltene Hilfe?

Von 73.000 Haushalten, die in unserem Einzugsgebiet wohnen, erhalten nur 800 Unterstützung von uns. Diejenigen, die unsere Hilfe erhalten, sind sehr glücklich und dankbar. Die anderen empfinden das Gegenteil. Jeden Tag erhalte ich Hunderte von Anrufen, bei denen mich Menschen um Hilfe bitten. Das macht mich wütend, weil ich mich so hilflos fühle. Die Menschen, die wir nicht unterstützen können, fühlen sich allein gelassen und beklagen sich.

Wo sehen Sie zurzeit den größten Hilfsbedarf? Was muss passieren?

Zurzeit gehen die Infektionszahlen weiter hoch. Wir wissen nicht, wann der Infektionshöhepunkt erreicht sein wird und wann es dann weniger werden. Aktuell sollten die Menschen zuhause bleiben (was nicht möglich ist) und Gesichtsmasken von hoher Qualität benutzen. Es sollte mehr auf die Behandlung von Covid-19-spezialisierte Krankenhäuser geben. Jegliche Unterstützung für die arme Bevölkerung ist ein Segen.

Leider mussten ja auch wie unsere medizinische Arbeit zeitweise unterbrechen – so wie viele andere Institutionen vor Ort auch. Resultieren daraus Probleme, die erkennbar sind?

Die Menschen haben Angst vor dem Virus. Sie bekommen keine gute Behandlung. Patienten, die herz- oder krebskrank sind, Nierenprobleme oder Epilepsie haben, leiden unglaublich. Nicht wenige Menschen sterben aktuell infolge von Herzinfarkten und Schlaganfällen. Suizidversuche nehmen zu. Verbrechen wie Morde, Entführungen und Vergewaltigungen werden mehr. Viele Menschen verlassen die Stadt und gehen zurück in ihre Dörfer. Die Textilfabriken sind geschlossen. Das bringt weitere Probleme mit sich.

Wie geht es Ihnen selbst in dieser Zeit?

Ich habe Angst, mich mit dem Virus anzustecken und fürchte mich vor etwaigen Folgen. Zweimal hatte ich den Verdacht, mich angesteckt zu haben. Ohne Testmöglichkeit weiß ich weiterhin nicht, ob ich Covid-19 schon hatte oder nicht. Seit dem Lockdown hier, der am 24. März losging, habe ich an jedem einzelnen Tag gearbeitet.

An welche Situation in letzter Zeit erinnern Sie sich, die Sie besonders berührte?

Jeden Tag, wenn unsere Patienten vor dem Tor stehen und warten, bis sie dran sind, wird mein Herz schwer. Es dürfen immer nur sechs Patientinnen und Patienten gleichzeitig in den Wartebereich. Besonders wenn unter den Wartenden ältere Menschen sind, die in der Hitze der Sonne stehen oder im heftigen Regen, finde ich das sehr schwer auszuhalten.