

Fünf Fragen an Dr. Tobias Vogt
Interview mit unserem Langzeitarzt in Kalkutta
Fünf Fragen an Dr. Tobias Vogt, der als Langzeitarzt seit 2002 für die German Doctors in Kalkutta tätig ist und dort schwerpunktmäßig mit Tuberkulose-Erkrankungen zu tun hat:
1) Was hemmt - Ihrer praktischen Erfahrung nach - den Kampf gegen die Tuberkulose in Indien am meisten?
Dr. Tobias Vogt: „Die Gründe für die so dauerhaft anhaltende und viele Leben zerstörende TB-Epidemie sind untrennbar verbunden mit der extremen Bevölkerungsdichte in den Ballungszentren Indiens, insbesondere in den innerstädtischen Slums, und der Armut großer Teile der Bevölkerung, die sich auch in Konsequenzen wie Mangelernährung, unhygienischen Lebensverhältnissen (kaum gelüftete Sammelunterkünfte), Zwang zur Migration von Millionen von Menschen und mangelndem Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten für wichtige, die Tuberkulose begünstigende Erkrankungen wie Alkoholabhängigkeit, HIV-Erkrankung und Zuckerkrankheit äußern. Diese Umstände lassen sich nicht kurzfristig abstellen. Sie sind aber der Ackerboden, auf dem die Tuberkulose gedeiht.“
2) Was hat sich innerhalb der zwölf Jahre, die Sie nun in Kalkutta tätig sind, in puncto Tuberkulose von staatlicher Seite verändert? Gibt es Fortschritte oder eher Rückschläge?
Dr. Tobias Vogt: „Das staatliche Tuberkuloseprogramm Indiens ist durchaus aktiv und in ständiger Veränderung begriffen. Neue technologische und organisatorische Möglichkeiten, der Tuberkulose zu Leibe zu rücken, werden aktiv und zeitnah aufgegriffen und mit Hilfe substantieller Investitionen möglichst flächendeckend im Land verwirklicht. Man muss sich immer bewusst machen, dass es die Aufgabe dieses staatlichen Tuberkulose-Kontrollprogramms ist, 1,2 Milliarden Menschen vor Tuberkulose zu beschützen - eine gigantische Herausforderung.“
3) Was konnte bei den German Doctors in der Zeit erreicht werden?
Dr. Tobias Vogt: „Wir German Doctors haben uns aktiv in die TB-Grundversorgung einiger großer Slums von Kalkutta eingebracht und unterhalten dort Strukturen wie Stadtteil-Tuberkulose-Zentren in staatlicher Lizenz. Der Andrang der Tuberkulosekranken dort ist groß. Außerdem konnten wir zwei Krankenhäuser für die kostenlose Behandlung von TB-Patienten der armen sozioökonomischen Schicht aufbauen, die zusammen über 70 Betten verfügen und immer voll sind mit Patienten mit schweren Verlaufsformen der TB, welche nicht für eine ambulante Behandlung geeignet sind. Außerdem haben wir ein sehr erfolgreiches Bündnis mit den Privat-Ärzten und Heilpraktikern der von uns betreuten Stadtteile Kalkuttas geschmiedet, das die Behandlungsstandards für die Tuberkulosepatienten in diesen Stadtteilen deutlich verbessern konnte.“
4) Was ist ihr schönster / größter persönlicher Erfolg, den Sie verzeichnen konnten?
Dr. Tobias Vogt: „Ich sehe eigentlich sehr regelmäßig schöne individuelle patientenseitige Erfolge der Arbeit. Ich sehe oft Patienten, die durch Tuberkulose in einen sehr schlechten Gesundheitszustand geraten sind, fast schon tot waren, und sich dann sehr bemerkenswert erholen und unsere Einrichtungen irgendwann einmal auch als geheilt verlassen können.“
5) Was müsste verändert werden, um die Tuberkuloseepidemie in Indien einzudämmen – in Europa beispielsweise ist dies ja gelungen!
Dr. Tobias Vogt: „Ich hatte oben beschrieben, dass erst eine großflächige Überwindung der Armut und der extremen Lebensbedingungen die Tuberkulose substantiell zurückdrängen wird. Dies ist wiederum abhängig von politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, auf die wir keinen Einfluss haben, und ist ein Prozess über Jahrzehnte. Parallel dazu müssen neue technologische und organisatorische Möglichkeiten, der Tuberkulose zu Leibe zu rücken, konsequent umgesetzt werden. Viel Potential scheint der neue diagnostische Test auf Tuberkulose, die sog. Polymerase-Kettenreaktion zu haben, mit der man TB leichter nachweisen kann als zuvor. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass einige neue stärkere Tuberkulosemedikamente auf den Markt kommen werden. Auf organisatorischer Ebene ist es extrem wichtig, dass alle Gesundheitsanbieter, Ärzte im staatlichen Gesundheitsdienst, Privat-Ärzte und Heilpraktiker sowie auch Apotheker, an einem Strang ziehen. Das ist wegen wirtschaftlicher Interessen der einzelnen Gruppen keinesfalls selbstverständlich.“
Vielen Dank für das Gespräch!