„Ich dachte, ich fahre in die Tropen“

Teil 1 des Berichts von Einsatzärztin Dr. Sigrun Schulze-Stadler aus Nairobi

Die Wellblechhütten im Slum

Wir sitzen gerade beim Abendessen, welches die Köchin uns gestern bereitet hat. Wir, das sind Hautarzt Hans, Chirurg Felix, Kinderarzt Matthias und ich. Wir arbeiten in der Woche in Baraka, einem Bezirk vom Slum Mathare Valley zusammen mit Langzeitärztin Yvonne und 80 einheimischen Mitarbeitern, wie Übersetzern, Clinic Health Officers, Schwestern, Laboranten, SchwesterhelferInnen, Apothekern, Verwaltungsleuten, Sozialarbeiterinnen, Counselors (die z.B. jeden Patienten vor der Blutentnahme für einen HIV-Test beraten, und praktisch bei jedem wird hier ein Test gemacht) sowie noch einigen weiteren Helfern. Sie sind allesamt ein fantastisches Team, sehr gut ausgebildet, hilfsbereit und es herrscht eine entspannte Stimmung. Jeder Arzt hat ein eigenes Zimmer, wohin ich mich morgens begebe. Mit Beth, der Dolmetscherin, sehe ich ca. 40 Patientinnen täglich.  Die meisten sind gynäkologische Patientinnen. Blutungsstörungen, Unterbauchschmerzen und Schwangerschaften sind die häufigsten Gründe für einen Besuch. Dann kommen viele wegen Schmerzen im Kreuz und Nacken, im Kopf und Oberbauch, sowie wegen Schmerzen überall (all Body pain) und Taubheit des Körpers. Das sind häufig depressive Menschen, die von ihren Lebensumständen überfordert sind, schwere körperliche Arbeit erledigen und geschafft sind. Da zu helfen ist schwierig. Oft waren sie dann schon in verschiedenen anderen Zentren und bringen Rezepte mit, auf denen ca. 8 verschiedene Medikamente aufgeschrieben sind, die Hälfte oft Antibiotika. Die kann man auch rezeptfrei beim Apotheker bekommen, da werden meist 3 Tabletten herausgegeben, die dann nach Bedarf geschluckt werden. Und die Enttäuschung ist groß, dass diese Therapie nicht hilft.

Hausgeburten sind verboten

Aber es gibt auch viele gute Momente, z.B. wenn eine Patientin das Gefühl hat, dass wir ihr geholfen haben. Oder ein Fall vom letzten Freitag:  eine Frau, die letztes Jahr eine Fehlgeburt hatte, im November wieder schwanger wurde, blutete im Januar einen Monat lang, so dass ein Arzt ihr geraten hatte, eine Ausschabung machen zulassen und nun zu uns kam. Sie hatte sich dem Rat widersetzt und wollte nun von mir wissen, was sie nun tuen sollte. Nach der Untersuchung stellte sich heraus, für sie völlig unerwartet, dass eine intakte Schwangerschaft in der 25. Woche vorlag. Da war bei uns allen die Freude groß.

Ein Balanceakt der besonderen Art

Bedrückend eine andere Geschichte: Eine junge Patientin mit bestätigter Schwangerschaft erzählte, dass sie bei der letzten Geburt durch Kaiserschnitt ein gesundes Kind entbunden habe. Als sie am nächsten Tag das Kind sehen wollte, habe man ihr erzählt, das Kind sei plötzlich verstorben. Man zeigte ihr das Kind nicht, übergab es ihr auch nicht zur Beerdigung und sie ist überzeugt, dass es verkauft wurde. Dies soll durchaus ab und an in Krankenhäusern vorkommen, und nun will sie auf jeden Fall dieses Mal zu Hause entbinden, obwohl sie einen Kaiserschnitt hatte, was die Geburt deutlich gefährlicher macht und Hausgeburten verboten sind. Von unseren Argumenten ließ sich nicht umstimmen, ich finde ihr Verhalten allerdings nachvollziehbar.

Dieses Wasser ist definitiv nicht zum Verzehr geeignet

Dieses Wochenende waren wir in einem dörflichen Gebiet, 2,5 Stunden von Nairobi entfernt in einem Kaffeeanbaugebiet. Dort hat sich eine Kooperative gebildet, die mithilfe von kenianischen Volunteers für 520 Bauern den Kaffee „fair Trade“ nach Deutschland verkauft, z.B. an die Kaffeebrennerei in der Speicherstadt. Die Kaffeefarm war sehr gastfreundlich, wir haben jeder ein Zimmer gehabt und traditionelles Essen bekommen, viel über die tägliche Arbeit erfahren und Farmen und weiterverarbeitende Arbeitsbereiche besucht. Allerdings regnete es die gesamte Zeit in Strömen, wir wateten durch Matsch und es war richtig kalt. Im Farmhaus gab es keinen Strom wegen des Regens, nur eine kalte Dusche und ich habe mich ordentlich erkältet. Hab nicht genug warme Kleidung mitgenommen, ich dachte doch, ich fahre in die Tropen.

Man fühlt sich eingesperrt

Müll und Abfall sind hier allgegenwärtig

Jetzt bin ich schon 2 Wochen hier in Nairobi und vieles ist mir nun schon vertraut. Das Aufstehen um 6 Uhr morgens, die Rinnsale aus der Dusche, das nette Frühstück mit den Kollegen und die Fahrt mit Driver Charles im Bus erst durch den mörderischen Morgenverkehr, dann die mühsame Tour durch Mathare Valley bis nach Baraka. Letzte Woche hat es derart viel geregnet (meine Übersetzerin Beth meint, wie seit 10 Jahren nicht mehr), dass die Slumstraßen sich in reißende Ströme verwandelt hatten. Zufluss bekamen sie von Wasserfällen, die von beiden Seiten der Straße durch die Wellblechhütten flossen. Die Bewohner hatten 2 Tage keinen festen Boden unter den Füßen. Dennoch wateten alle unverdrossen durch die Seen, wirbelten das Wasser mit den Motorrädern auf und fuhren sogar mit dem Fahrrad durch die absaufenden Wege, in einer bewundernswerten Technik. Als die Wassermassen sich wieder verzogen hatten, kamen riesige, tiefe Schlaglöcher zum Vorschein, die unsere Fahrt noch spannender gestalteten. Die Menschen leben an den Straßen, kochen, schneidern und verkaufen dort Kohlköpfe in rauen Mengen, auch wenn sie vorher im Regenschlamm gelegen haben. Gegenüber von Baraka werden Teigwaren in heißem Fett ausgebraten, Mandasies, sehr lecker und beliebt als Snack nach der Arbeit, wenn wir zu Fuß durch den Schlamm zurück in unser Haus waten. Das liegt in einem abgesperrten Bezirk, von Security bewacht, wo die wohlhabenden Kenianer sich abschotten. Von diesen Compounds gibt es hier jede Menge, dazwischen viel Grün, Parks und saubere Straßen. Man kommt aus diesem Bereich nicht heraus, vor allem, weil es keine Kneipen, Restaurants oder Geschäfte dort gibt. Wir fühlen uns alle sehr eingesperrt und Nairobi schon nicht mehr ganz so reizvoll. Vor allem dann, wenn man hustet und mit Nebenhöhlenentzündungen kämpft, da bin ich nicht die Einzige, zu kalt, zu viel Regen. Aber das Wochenende naht ja, da werden wir nun eine Fahrt zum „Amboseli National Park“ machen, das wird sicher toll.